SZ +
Merken

Schmetterlinge stärken sich noch einmal

Was tut sich gerade auf Feld und Flur? Die SZ sagt es Ihnen in einer Naturserie. Jede Woche.

Teilen
Folgen

Von Hermann Thomas

Keiner will es so recht wahrhaben, aber der Herbst steht tatsächlich vor der Tür. In normalen Jahren hätte der erste kräftige Frost die kühlere Jahreszeit schon angekündigt. Aber solange die Mittagshitze noch an die Hundstage erinnert und die Menschen darin schwitzend ihrem Tagewerk nachgehen, denkt noch niemand an den vor der Tür stehenden Herbst. Wenn die Hochdruckbrücke zusammenbricht, die Temperaturen spürbar sinken, der Wind auflebt und Tau und Nebel immer mehr die Morgenstunden beherrschen, dann erkennen auch die Optimisten, dass sich das Jahr zum Ende neigt. Die Menschen mit ihrer Vorratswirtschaft schreckt der Winter nicht, aber vor allem den kleinen Tieren geht es jetzt an den Kragen.

Die letzte und zugleich nahrhafte Einkehr des Jahres bietet ihnen – vor allem dem sechsbeinigen Krabbelgetier – der Efeu mit seinen streng duftenden Blüten. Es ist nicht jedermanns Lieblingsgeruch, den die unscheinbaren Efeublüten verströmen, aber seine Signalwirkung scheint auf die uns fremden Sinnesorgane enorme Anziehungskraft auszuüben. Alle sind jetzt hier versammelt: Tagfalter, Hummeln, Bienen, Wespen, Hornissen, Schlupfwespen, Blatt- und Raubwanzen, Fliegen in vielerlei Arten und kleine Käfer, soweit sie sich von Efeunektar ernähren.

Die meisten kümmern sich nur um die duftenden Blüten und scheinen alle Rivalität untereinander vergessen zu haben, doch Spinnen und gelegentlich auch Hornissen vergreifen sich ab und zu an ihren friedlichen Nachbarn. Spinnen, weil sie eventuell noch einen Eikokon abzulegen haben, Hornissen, falls ihre Waben noch mit Brut gefüllt sind. Sie beschließen ihr Jahr als letzte unter den Wespen, aber der erste strenge Frost besiegelt auch ihr Schicksal.

Nur die Wanderfalter, darunter der Admiral, schaffen es vielleicht, den Weg in den Süden zu finden, damit ihre Nachkommen 2007 erneut vom Mittelmeergebiet oder von Nordafrika nach Mitteleuropa vorstoßen können. Irgendwann wird es so warm geworden sein, dass sie gleich den Taubenschwänzchen hier ganzjährig leben können. Aber noch wird unter den sinkenden Temperaturen überall die Nahrung knapp. Vorübergehend bietet das fallende, gärende Obst etwas Abwechslung, aber das ist nur ein kurzes Intermezzo ohne wirklichen Zeitgewinn. Schließlich bleiben die letzten Blüten der Kräuter für die frei lebenden Insekten.

Wenn in den Häusern aber die Hausfrauen Obst für Marmelade, Gelee, Kuchen, Saft, und andere Zwecke bereiten, dann erreicht die Welt der Essigfliegen kurzfristig ungeahnte Dimensionen. Zu hunderten folgen sie dem Duft des Obstes und besiedeln die Küchen und Obstlager. Ich kenne Hausmänner, die dann entnervt zum Staubsauger greifen und diesem Spuk ein Ende setzen, noch bevor die Natur von sich aus einen Schlussstrich zieht.

Hermann Thomas (69) hält für die SZ-Leser Ausschau nach Tieren und Pflanzen in der Region. Der promovierte Diplombiologe aus Strehla war Hochschul-Dozent und hat mehrere Fachbücher veröffentlicht.