Von Jürgen Ruf
Es sind drei Schüsse, die das Leben von Wolfgang Schäuble unumkehrbar verändern. Vor 25 Jahren, am Abend des 12. Oktober 1990, wird der CDU-Politiker und damalige Bundesinnenminister Opfer eines Attentats. Nach einer Wahlkampfveranstaltung im badischen Oppenau feuert ein geistig verwirrter Mann aus nächster Nähe auf Schäuble. Es ist eine Tat, die bis heute nachwirkt. Schäuble ist seither querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.
„Ich spüre meine Beine nicht mehr.“ Der Satz des am Boden liegenden Ministers brennt sich jenen, die damals dabei waren, ins Gedächtnis ein. Schäubles älteste Tochter, die Sekunden nach den Schüssen den Raum betritt, ist sich zu diesem Zeitpunkt sicher, dass ihr Vater tot ist, wie sie später erzählt. Er überlebt. Heute ist er 73, Bundesfinanzminister und einer der mächtigsten Politiker Deutschlands. Das Attentat, wenige Tage nach der Deutschen Einheit, schreckt die Republik auf. Es ereignet sich im Schwarzwaldort Oppenau Der Politiker lebt nur einige Kilometer entfernt.
„Der Auftritt von Wolfgang Schäuble in Oppenau war aus polizeilicher Sicht nichts Ungewöhnliches“, sagt ein Polizeibeamter, der an jenem Abend im Einsatz war. Termine in der Heimat waren für den damals 48 Jahre alten Politiker und sein Umfeld Routine. Schäuble ist in der Region aufgewachsen, sitzt seit 1972 für den ländlich geprägten Wahlkreis im Bundestag.
Im „Gasthof Brauerei Bruder“ hält Schäuble an diesem Abend vor 250 bis 300 Zuhörern eine Wahlkampfrede, die Bundestagswahl naht. Danach bleibt er noch eine Weile. Zahlreiche Anwesende in dem kleinen Saal des Gasthauses sind dem damaligen Vertrauten von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) persönlich bekannt. Die Stimmung ist gut. Nur sechs Wochen zuvor hatte Schäuble den Vertrag zur Deutschen Einheit unterzeichnet. Er gilt als Architekt des Einheitsvertrags.
Als Schäuble kurz nach 22 Uhr, umringt von zahlreichen Menschen, den Saal der Gaststätte verlässt, nähert sich ein damals 37 Jahre alter Mann, zieht einen Revolver und feuert aus knapp einem halben Meter Entfernung. Zwei der drei Schüsse treffen Schäuble in den Rücken und am Hals. Die dritte Kugel bohrt sich in den Körper eines Personenschützers, der sich vor Schäuble wirft und verletzt wird.
Schäuble wird mit dem Rettungshubschrauber in die Universitätsklinik Freiburg gebracht, wo die Ärzte fünf Stunden um sein Leben ringen. Schnell wird klar, dass er nie wieder wird gehen können. Er ist vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt. „Als ich aus dem künstlichen Koma aufgewacht bin, war mir klar, dass ich gelähmt bin“, sagt Schäuble jüngst in einem Interview. „Warum habt ihr mich nicht sterben lassen“, fragt er seine Tochter.
Doch er gibt nicht auf. Mit eiserner Disziplin nimmt er nur wenige Monate nach dem Attentat im Rollstuhl seine Amtsgeschäfte wieder auf. Gesundheitlich zugute kommt ihm, dass er vergleichsweise jung und zudem sehr sportlich ist. Und er gilt als äußerst willensstark. „Er hat ziemlich früh sein Schicksal angenommen“, erinnert sich Ehefrau Ingeborg an die Tage im Krankenhaus: „Es war großartig zu sehen, wie er sich zurück ins Leben kämpft.“ Den Abschied aus der Politik, zu dem ihm die Familie rät, lehnt er ab.
Sein Attentäter wird überwältigt und festgenommen, später von einem Gericht verurteilt und in eine geschlossene psychiatrische Anstalt eingewiesen. Die Waffe und die Patronen hatte er aus dem Waffenschrank seines Vaters, einem örtlichen Bürgermeister, entwendet. (dpa)