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Schuften bis zum Tod

32000 Zwangsarbeiter hielten im Zweiten Weltkrieg die Dresdner Industrie am Laufen

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Von Reinhardt Balzkund Monika Dänhardt

Es war 1967 oder 1968. In der Tabak-Uni Dresden, einem bekannten Maschinenbaubetrieb auf der Zwickauer Straße, fand die Mitarbeiterin Freia Mütterlein bei einer Inventur im Betriebsarchiv ein Bündel Karteikarten. Es waren Stammkarten von Zwangsarbeitern, meist russischer, ukrainischer oder weißrussischer Nationalität, 120 Zeugnisse von etwa 1000 Zwangsarbeitern, die im Vorgängerbetrieb Universelle Dresden eingesetzt worden waren. Sie hatten zur Front abkommandierte Beschäftigte zu ersetzen. Nicht nur in diesem Betrieb wurde die Produktion nur durch sie am Laufen gehalten. Untergebracht waren die Zwangsarbeiter der Universelle unter anderem in Lagern am damaligen Kronprinzenplatz und auf der Hahneberger Straße. Die Karteikarten stehen für Schicksale. So war zu erfahren, welchen dürftigen Lohn die Zwangsverpflichteten erhielten. Er lag bei 32 bis 64 Pfennigen. Doch selbst davon sahen die Männer und Frauen kaum etwas. Genau ist auf den Karten aufgelistet, wer eine Jacke, eine Hose oder Bluse erhalten hat. Dazu kamen die Kosten für Unterbringung und Verpflegung, auch wenn beides kaum als solches zu bezeichnen war, die abgezogen wurden.

Das Essen im KZ war besser

Noch schlechter dran waren die 700 weiblichen KZ-Häftlinge, die aus dem KZ Ravensbrück der Universelle „zur Verfügung gestellt“ wurden. Ihr Lager befand sich auf der Flora-Straße. Streng bewacht und nur mit so viel versorgt, dass sie arbeiten konnten, mussten sie für die Universelle schuften. Ob sie überlebten, war egal. Im Gegenteil, der menschenverachtende Umgang mit ihnen schloss sogar ein, sie „durch Arbeit zu vernichten“. Auch verhaftete deutsche Frauen befanden sich unter den KZ-Häftlingen. Überlieferte Briefe beschreiben, wie die „modernen Sklaven“ behandelt wurden. In einem Brief ist zu lesen: „Die Behandlung und das Essen waren im KZ besser“.

Doch nicht nur in der Universelle wurden Zwangsarbeiter ausgebeutet. Fast in allen großen Betrieben waren sie zu finden: in dem Zeiss/Ikon/Goehlewerk, bei Radio Mende, in der Lorenz AG, bei Seidel & Naumann, aber auch in der Zigarettenindustrie, in Lebensmittelbetrieben, ja selbst bei der Friedhofsverwaltung und im Zoo.

Was die Zwangsarbeiter aushalten mussten, war unterschiedlich. Oft hatte es auch etwas mit der Arbeit zu tun, zu der sie gezwungen wurden. So hatten diejenigen, die beispielsweise im Zoo unterkamen, noch Glück im Unglück. Schon durch das Aufgabengebiet wurden sie hier noch weitgehend menschlich behandelt. Da sah es in anderen Einrichtungen ganz anders aus. Im Betrieb der Miag Zschachwitz befanden sich zu Ende des Krieges 1044 KZ-Häftlinge. Ausgewählten Meistern waren hier sogar Pistolen ausgegeben worden, um Revolten zu verhindern. Wie sie mit dieser Macht in den Händen die Häftlinge behandelten, kann man sich vorstellen.

Dem Sachsenwerk war sogar ein sogenanntes Arbeitserziehungslager zugeordnet. Es befand sich in Radeberg. Mit „Arbeitserziehungslager“ (AEL) wurde bedroht, „wer die Arbeit niederlegt, andere Arbeiter aufhetzt, die Arbeitsstelle eigenmächtig verlässt“. Die Gestapo-Willkür reagierte dabei auch gern auf Anzeigen und Denunziationen von Arbeitgebern und Behörden. In diesen Lagern waren die Inhaftierten sehr häufig KZ-ähnlichen Bedingungen ausgesetzt, wie viele Schilderungen in Anträgen auf Zwangsarbeits-Zahlungen zeigen. Es gab sehr viele Todesfälle. Wer überlebte, trug häufig körperliche Dauerschäden und psychische Traumatisierungen davon.

In Dresden sollen nach einem Polizeibericht vom Frühjahr 1946 insgesamt 32000 Zwangsarbeiter beschäftigt gewesen sein, davon waren 24000 Personen namentlich erfasst. Viele Unterlagen verbrannten im Februar und April 1945. Anzunehmen ist aber auch, dass Unterlagen vernichtet wurden. So waren die Angaben nach dem Krieg sehr unterschiedlich. Umso bedeutender ist eine Recherche des Stadtarchivs Dresden, bei der aus Lohnlisten über 3000 Zwangsarbeiter namentlich ermittelt wurden. Dadurch konnte einigen ehemaligen Zwangsarbeitern geholfen werden, die für die Entschädigung ihre Arbeit in einem der Dresdner Betriebe nachweisen mussten.

Zu viele sahen weg

Natürlich versuchte der eine oder andere Dresdner, den Zwangsarbeitern in seinem Betrieb zu helfen. Sei es ein Stück Brot, was zugesteckt, ein Brief, der herausgeschmuggelt wurde. Und dies, obwohl auf jede dieser humanen Handlungen schwerste Strafen standen. Viele Dresdner aber ließen sich davon einschüchtern – und einige verdrängten das Ganze einfach. Vielleicht bis heute.

Vortrag „Zwangsarbeiter in Dresden“,

10. Februar, 19 Uhr, Dresden Buch in der QF Passage (an der Frauenkirche);

Zum Thema „Zwangsarbeiter in Dresden“ gibt auch die Dauerausstellung des Dresdner Stadtmuseums im Raum „Demokratien und Diktaturen“ Auskunft,