Von Christoph Scharf
Dieser Krach! Die Ferkel quieken so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Dabei haben sie gerade noch regungslos unter ihrer Wärmelampe gelegen, während die Muttersau friedlich im Stroh vor sich hin dämmerte. Nun aber ist es ihnen in den Sinn gekommen, dass sie trinken wollen. Alle gleichzeitig. Also balgen sich die 15 Ferkel um die besten Zitzen. Ständig klettert eins der zwei Wochen alten Tiere über den Bauch der Sau. Die quittiert das nur mit einem halb hochgezogenen Augenlid. Kein Wunder: Die Jungen wiegen gerade mal zwei Kilo. Sie selbst bringt das Hundertfache auf die Waage.
Rolf Merzdorf betrachtet das Gewimmel in seinem Stall mit einem Lächeln. Für ihn gehört der Umgang mit dem Meißner Schwein seit Jahrzehnten zum Alltag. Der 79-Jährige trägt sämtliche ihrer Daten – vom Geburtsdatum über die Eltern bis zur Zahl der Würfe – handschriftlich in einem Buch zusammen. Die Exaktheit hat ihren Grund: Ohne die Zucht auf dem Merzdorf’schen Hof in Mettelwitz wäre das Meißner Schwein längst ausgestorben.
1945 entging die letzte Sau der einst preisgekrönten Züchtung knapp dem Kochtopf. Und auch in den folgenden Jahrzehnten stand das Überleben des Schwergewichts mehrfach auf der Kippe. Denn die DDR-Landwirtschaft hatte sich ganz auf die Zucht von Land- und Edelschwein konzentriert. Für lokale Besonderheiten wie das Meißner Schwein blieb kein Platz.
Anders war das in dem gepflegten Vierseiten-Hof in Mettelwitz, einem knapp 100-Einwohner-Dorf bei Lommatzsch. Dort führte Rolf Merzdorf gegen alle Widrigkeiten die elterliche Zucht fort. Da musste man selber mit dem Fleischkombinat Verträge machen, Futter notfalls auch mal gegen das Versprechen eines Ferkels zu Weihnachten eintauschen, die Sau zum Decken 40 Kilometer per Pkw-Anhänger durch die Gegend fahren. Denn dadurch, dass nur ein Meißner Muttertier erhalten blieb, mussten notgedrungen fremde Eber einspringen. „Aber die Mutterlinie haben wir nicht aussterben lassen!“, sagt der Landwirt. Ansporn war sein Lehrmeister: der prophezeite Rolf Merzdorf schon 1951, dass er der Einzige sei, der in 50 Jahren noch Meißner Schweine habe. – Doch was unterscheidet die Sorte überhaupt vom „gewöhnlichen“ Schwein? „Das Meißner Schwein ist mit 200 Kilogramm Lebendgewicht deutlich schwerer als das Standardschwein mit 120 Kilo“, sagt Hartmut Tischer von der Zucht- und Vermarktungsgemeinschaft Meißner Schwein. „Es wird meist deutlich älter, wächst langsamer – und schmeckt besser.“ Das hätten Blindverkostungen bewiesen. Der Grund dafür ist einfach: Die Schweine bei Bauer Merzdorf bekommen kein Industriefutter, sondern Grünes aus dem eigenen Garten, Gerste und Weizen von nebenan, Kürbisse oder Erbsen. Nur vom Mettelwitzer Wein gibt es nichts: Den baut Bauer Merzdorf ebenfalls auf dem eigenen Hof an. Nun hat ihn die Rinderzuchtgemeinschaft Großenhain mit dem Erhard-Braune-Tierzuchtpreis ausgezeichnet – für sein Lebenswerk.
Meißner Schwein gibt es in der Elbklause Niederlommatzsch, im Domkeller und im Goldenen Fass Meißen sowie bei den Fleischerei Richter und Näcke in Meißen. Aktuell werden Abnehmer für ganze Hälften gesucht.
www.meissner-schweine.de