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Schwierige Wahrheit vom Maidan

über die Suche nach den Todesschützen

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Frank Grubitzsch

Für die neue Regierung in Kiew war die Sache klar: Das Blutbad unter den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew geht auf das Konto von Scharfschützen der Sondereinheit „Berkut“, die auf Befehl von Staatschef Janukowitsch handelten. So stand es im ersten Bericht, den der Geheimdienst in der vergangenen Woche vorgelegt hat.

Doch an dieser Version gibt es immer mehr Zweifel. Glaubt man den Aussagen von Mitarbeitern des Ermittlerteams, wurde auch aus den Reihen der Opposition geschossen – auf die eigenen Leute. Damit wäre die These von der Alleinschuld der „Berkut“-Einheiten nicht länger haltbar.

Noch ist es nur ein Verdacht; nicht mehr. Sollte er sich erhärten, erscheinen die Ereignisse in Kiew in einem anderen Licht. Es wäre eine schwer erträgliche Wahrheit. War den Gegnern von Janukowitsch jedes Mittel recht, um den Staatschef zu stürzen oder den Westen zum Eingreifen zu bewegen? Wenn sich das bestätigt, müsste sich nicht nur die Oppositionsbewegung, sondern auch die Regierung in Kiew unbequemen Fragen stellen. Es liegt deshalb in ihrem eigenen Interesse, dass die Justiz den Vermutungen nachgeht – rasch, konsequent, vor allem aber unvoreingenommen und unabhängig. Eine Regierung, die im Verdacht steht, skrupellose Mörder zu decken, verliert unweigerlich Vertrauen.

Nicht nur die Hinterbliebenen der Opfer vom Maidan haben Anspruch auf die volle Wahrheit. Das ganze Land muss wissen, wer die Todesschützen vom Maidan wirklich waren. Mit Halbwahrheiten oder Lügen lässt sich weder der politische Neuanfang in Kiew glaubwürdig gestalten noch der innerukrainische Konflikt beilegen.