Von Thilo Alexe
Um 8.06 Uhr geht’s für Bernd Wächter nur noch aufwärts. Eineinhalb Jahre hat der Bauleiter auf diesen Moment hingearbeitet. Jetzt muss er trotz peitschender Regenschauer und einer böigen Brise mit seinem Partner in ein Körbchen steigen, das ein gigantischer Kran fast 60 Meter nach oben zieht. Das Körbchen schwankt.
„Ich wollte das hier unbedingt machen“, wird Wächter später erschöpft und erleichtert sagen. „Das hier“ ist keine Kleinigkeit. Es geht darum, einen 60 Meter hohen und 60 Tonnen schweren Masten zu zerlegen. Bei Windstärke fünf.
Seitdem klar ist, dass Dynamo eine neue Heimat erhält, hat Wächter geschuftet – zunächst vor allem am Telefon. Der 49-Jährige war erfolgreich. Es ist ihm geglückt, für die Wilsdruffer Stahlbaufirma Ernst Walther den Auftrag für den Abriss der ersten Lichtmasten im Harbig-Stadion zu ergattern. „Ich bin Dynamo-Fan“, sagt Wächter. Deshalb wollte der sympathische Freitaler dabei sein. Auch wenn es ihm ein bisschen leid tut um die Giraffen, die in fast 40 Jahren das Stadtbild geprägt haben: „Aber sie weichen für den Neubau. Und das ist gut.“
Weniger gut ist der Wind. Wächter und sein Kollege können sich nur mühsam bewegen. Um bis zu einen Meter schwankt die Giraffenspitze. „Wären die Böen heftiger geworden, hätte der Kranführer die Aktion abgebrochen“, sagt Wächter. So weit kommt es jedoch nicht, auch wenn ein Windstoß einem Arbeiter den leuchtend roten Helm vom Kopf pustet.
Rund 200 Dynamo-Fans verfolgen die spektakuläre Aktion von der eigens geöffneten Vip-Tribüne. Sie sehen Funken fliegen. Wächter und sein Partner arbeiten – natürlich angegurtet – mit einem Schneidbrenner. Sie trennen die Schweißnähte auf, die den 60-Tonner in der Badkurve zusammenhalten.
Mit Ketten werden die Ebenen, die die Lichtstrahler tragen, durch einen Kran gesichert. Den letzten, endgültig trennenden Schnitt mit dem Brenner setzen die Arbeiter von außen – baumelnd im Korb. Nach zweieinhalb Stunden ist es so weit. Es wirkt behutsam, wie der Kran die Mastspitze anhebt und dann auf den Boden hievt. „Mit den anderen beiden Teilen ging es schneller“, sagt Wächter. Am späten Nachmittag steht von der Badkurven-Giraffe nur noch der Mast mit einer Beleuchtungsebene. Der zweiten Giraffe – sie steht nahe der Geschäftsstelle – fehlt die oberste Plattform. Bis übermorgen sollen die beiden Schwergewichte vollends verschwunden sein.
Mehrere Stoßgebete
„Der Stahl wird verschrottet“, sagt der Projektleiter des Stadionbauunternehmens HBM, Kay-Uwe Panzer. Die Strahler – einer hat eine Power von 2000 Watt – sollen wie die Stadionsitze versteigert werden. „Es gibt schon erste Anfragen“, sagt Dynamo-Jugendrat Thomas Blümel. Die Idee: Das Geld kommt einer Stiftung für den Fußballnachwuchs in der Region zugute. „Das passende Vorschaltgerät für die Strahler gibt es auch“, ergänzt Blümel und verrät: „Ein Strahler hat rund 1200 Euro gekostet.“
Es wird dunkel im Stadion. Wächter hat’s geschafft. „Ich habe mehrere Stoßgebete zum Himmel geschickt“, sagt er. Und kündigt an, nach Feierabend „ein kleines Bier zu trinken“. Prost.