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Schwitzen mit Aussicht

Der Festungslauf in Königstein ist ganz schön hart. Doch wer die französische Rampe erreicht, wird mit Gänsehaut belohnt.

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© Marko Förster

Von Tino Meyer

Kurz und knackig – das ist der Festungslauf in Königstein, vermutlich eines der schönsten und zugleich meist unterschätzten Rennen Sachsens. Denn 7,8 Kilometer sind ja eine Distanz, die der geübte Läufer auch an diesem Freitag mal eben im Vorbeigehen mitnehmen sollte. Nur die Zeiten passen nicht recht dazu.

Zwischen 40 und 55 Minuten wird die Masse der rund 500 Teilnehmer auch diesmal wieder benötigen. Selbst Marc Schulze, einer von Dresdens besten Läufern, hat bei der zehnten Auflage im vergangenen Jahr mit knapp unter 29 Minuten zwar die zweitschnellste Zeit überhaupt erzielt, was immerhin einem Schnitt von 3:43 Minuten entspricht. Wer aber weiß, dass Schulze die gut 42 Kilometer eines Marathons in durchschnittlich 3:20 Minuten absolvieren kann, der ahnt die Besonderheit von Königstein. Es sind die 255 Höhenmeter.

Rechnet man die ersten anderthalb Kilometer ab, die mehr oder weniger flach unten durch den Ort führen, sowie die abschließende 1,8-Kilometer-Runde oben auf dem Festungsplateau, ergibt sich eine durchschnittliche Steigung von rund sechs Prozent. Diese Zahlenspielerei ist es aber nicht, die Jens Dzikowski auf die Idee des Festungslaufes gebracht hat. Schuld war vielmehr sein beruflich bedingter Umzug. „Wo ich hinziehe, muss ich etwas machen“, sagt er. Und Dzikowski hat oft den Wohnort gewechselt…

„Die Freude am Laufen wollte ich stets auch an andere weitergeben. Aus eigener Erfahrung weiß ich“, sagt der Mann, der in Kamenz den Blütenlauf und im Nachbarort Biehla den Froschlauf etabliert hat, „dass Läufer immer wieder neue Anreize brauchen. Mir ist wahrscheinlich die Fähigkeit in die Wiege gelegt worden, so etwas organisieren zu können.“ Wobei die Idee das eine, deren Umsetzung etwas anderes, oft auch bürokratisch-kompliziertes ist. Königstein unterscheidet sich da kaum von anderen Orten.

Dass es ihm aber auch hier gelungen ist, die Leute zu überzeugen und längst auch zu begeistern, beweist nicht nur der Vertrag mit der Festung. Der hat sich von anfänglich 18 mit diversen Forderungen und Reglementierungen gefüllten Seiten auf ein formloses Schreiben verselbstständigt. Neben den vielen kulturellen und kulinarischen Veranstaltungen gehört nun auch der Festungslauf zu den Jahreshöhepunkten des imposanten Freilichtmuseums – und Dzikowski zu den Mietern.

Tatsächlich lautet seine Adresse inzwischen Festung Königstein, 01824 Königstein. Als Organisator hat er irgendwann mitbekommen, dass auf dem Tafelberg auch Wohnungen vermietet werden. Jetzt lebt er praktisch im Zielareal – oder mitten im Museum, ganz wie man will. Der Briefkasten ist zehn Gehminuten entfernt und eine schnelle Besorgung an sich unmöglich. Dafür hat Dzikowski praktisch rund um die Uhr freien Eintritt, auch im Lastenfahrstuhl nach oben.

Er fühlt sich wohl, und das Gefühl schafft er jedes Jahr auf die Läufer zu übertragen. Die kommen aus ganz Deutschland sowie der Grenzregion, darunter auch viele Urlauber und Feriengäste, aber vor allem bekennende Gipfelstürmer.

Der vermutlich prickelndste Augenblick auf dem Weg nach oben ist das Erreichen der Festung, die im Laufe der Jahrhunderte schon Fürsten, Zaren, Königen und Kaisern imponierte. Selbst Napoleon war zu Besuch. Und dem Schornsteinfeger Johan Friedrich Sebastian Abratzky ist es 1848 als mutmaßlich erstem Menschen gelungen, ohne Hilfsmittel über die Außenwand in die bis dahin als uneinnehmbar geltende Festung einzudringen. Die Wachen haben ihn daraufhin dem Kommandanten vorgeführt, der Abratzky in den Arrest stecken ließ.

Wenn nun an diesem Freitag die Läufer kommen, ist das schwere Eisentor geöffnet. Und an der französischen Rampe, die mit ihrer 45-Grad-Neigung selbst gut trainierte Läufer fast freiwillig zum Walker macht, steht eine Gruppe Cheerleader, die für Gänsehautmomente sorgt; für ein paar Sekunden jedenfalls. „Du kommst aus dem Torbogen raus, willst stehenbleiben. Doch die Stimmung treibt dich an“, beschreibt Dzikowski die letzten Höhenmeter, ehe es noch eine Runde an der Festungsmauer entlang, vorbei an seiner Wohnung, bis ins Ziel geht. Dann lautet das Motto: Schwitzen mit Aussicht. Und die, das weiß kaum einer so gut wie er, ist atemberaubend.

Wann und ob Dzikowski noch einmal umziehen wird, vermag er auch deshalb nicht zu sagen. Doch eines schließt er kategorisch aus: irgendwo einen weiteren Lauf zu etablieren. „Es kribbelt noch, doch ich fange nichts Neues mehr an. Man wird ja auch älter“, sagt der 62-Jährige. Ideen hätte er noch mehr als genug.