Von Michaela Widder
Er ist das Mädchen für alles. Das würde nie jemand so zu dem grauhaarigen und vollbärtigen Mann auf der Bühne sagen. Auch wenn das für ihn keine Beleidigung wäre. Doch in der Riesaer Sachsenarena ist Michael Wendt in diesen Tagen der gefragteste Mann. Er steht auf der Bühne, moderiert stundenlang die Auftritte der kleinen und großen Tänzer an. Zwischendurch schnappt er sich den Besen, fegt mal schnell den Boden. Hat er doch mal Pause, greift er zu einem Becher Tee und setzt sich kurz auf die Tribüne. Durchschnaufen.
Es dauert nicht mal eine Minute, da steht ein Japaner vor ihm, fragt nach Startzeiten. Freundlich antwortet er, und das, obwohl der Zeitplan groß über die Videoleinwand läuft. Dann kommen Sanitäter auf ihn zu, berichten von einem Mädchen, das in der Aufwärmhalle hyperventiliert hat. Ein italienisches Pärchen muss er auf später vertrösten. „Una Minuto“, sagt er.
Michael Wendt hat für alle ein offenes Ohr. Der 68-Jährige bringt seit 20 Jahren die Tanzwochen nach Riesa – und ist jedes Mal wieder begeistert. „Es herrscht eine riesige Stimmung, diese WM ist eines Jubiläums absolut würdig.“ Die Showtanz- und die Stepptanz-Weltmeisterschaften zählen zu den letzten Sportveranstaltungen in der Arena, die Riesa als Sportstadt groß gemacht haben. Seit dem viel beredeten Auftritt von Muhammad Ali 2002 kannte man die sächsische Provinz sogar im Ausland. Box-Abende waren eine große Zugnummer. Auch eine Kurzbahn-EM der Schwimmer fand hier mal statt, die Volleyball-WM der Frauen, ein Eishockey-Länderspiel und der Handball-Nationen-Cup. Doch ein Blick auf den Veranstaltungskalender 2017 verrät, dass die Super-Enduro-WM im Januar und die Darts Open im September zwischen Schlagernacht, Udo Lindenberg und Hosenscheißer-Flohmarkt die einzigen sportlichen Höhepunkte in der Arena sind – abgesehen von den Tanzwochen.
Es überrascht kaum, dass der damalige sportverrückte Bürgermeister Wolfram Köhler auch Michael Wendt 1997 in die Kleinstadt lockte. Nachdem der Hamburger Manager seine Showtanz-WM zuvor drei Jahre in Dresden ausgetragen hatte, erfolgte der Umzug nach Riesa. Alles begann mit einer zweitägigen Veranstaltung und 600 Tänzern. Mittlerweile sind es 14 Tage und mit den Stepptänzern, die in dieser Woche ihre Meister küren, insgesamt 3 400 Teilnehmer aus 27 Ländern. Dazu würden noch einmal 2 000 „Supporter“ kommen, zu denen Wendt Trainer, Betreuer, Familie und Freunde zählt. Rund 18 000 Betten seien zurzeit in der Region belegt. „Darüber wäre auch Hamburg glücklich“, sagt Wendt. Im Umkreis von 50 Kilometern seien Hotels und Pensionen ausgebucht.
Warum es den Macher immer wieder nach Riesa zieht, begründet er mit der guten Infrastruktur: „Die Arena und ihre Mitarbeiter sind super.“ Wendt kennt als Chef des Welttanzverbandes IDO weltweit viele Arenen, aber nirgendwo sei es so gut wie hier. „Die Halle ist der Bringer“, schwärmt er. Das größte Plus der Sachsenarena, die von der stadteigenen Förder- und Verwaltungsgesellschaft, kurz FVG, betrieben wird, ist ihre Flexibilität.
Kein Sitzplatz ist festgeschraubt, alles ist mobil. Für die Tänzer ist viel Platz zum Aufwärmen, für ihre Garderobe und die Verpflegung. Das alles unter einem Dach. Dass die Zusammenarbeit mit den Leuten vor Ort seit Jahren reibungslos funktioniert, ist nicht selbstverständlich. Andere Städte hatten sich schon um die WM beworben, aber der Cheforganisator sagt vehement: „Don‘t change a winning team.“ Außer 2014 – da hatte Prag die WM der Showtänze ausgerichtet, „doch die Stadt kam nicht an Riesa ran“.
In den zwei Wochen prägen vor allem junge Leute das Stadtbild. Die Einkaufsstraße ist belebt wie selten. Das liegt daran, dass vor allem im Showtanz der Großteil junge Frauen sind. Eine Drogeriekette macht während der Tanzwochen sogar ihren größten Umsatz, weiß Wendt. „Besonders die Osteuropäer kaufen gern Schminksachen. Die gibt es hier in guter Qualität und zu guten Preisen.“ Zum Abschied heißt es immer: „See you in Riesa.“
Die Teilnehmer reisen auf eigene Kosten an. Den kürzesten Weg hat ein Duo aus Riesa. Luisa Kreul und Johanna Liesch starten seit 2009 bei der WM, diesmal schieden sie im Viertelfinale aus. Für die beiden ist es trotzdem der Jahreshöhepunkt. „Wenn wir erzählen, dass wir bei der WM in Riesa waren, sagen Tänzer in anderen Ländern: Wow“, meint Luisa Kreul. Das Heimspiel hat Vor- und Nachteile. „Wenn man was vergessen hat, kann man schnell nach Hause“, so die 17-Jährige. Ihre ein Jahr ältere Partnerin Johanna hat früher jedoch „genervt, dass alle frei hatten und in der Halle abhingen und wir noch in die Schule mussten“. Seit Herbst ist sie Studentin in Halle/Saale.
Trotz der 20-jährigen WM-Geschichte ist Sachsen keine Hochburg. Außer dem Riesaer Paar waren nur noch ein Kinder-Duo sowie eine Formation aus Coswig beim Showtanz am Start. Beliebt bei den Zuschauern ist die Veranstaltung dennoch. Am Samstag war die Arena ausverkauft.
Ob Michael Wendt ab und an mal einen Tanz aufs Parkett legt? Er lacht. „Ich war kein guter Tänzer“, meint er und schiebt ein „na und!“ hinterher. Joachim Löw war schließlich auch kein Nationalspieler und hat als Trainer die DFB-Elf zum WM-Titel geführt. Wendt weiß eben, wie das Geschäft läuft – und dass es in Riesa läuft.