Von Thomas Mielke
Einige Mitmenschen verstehen nicht, dass auch Pfarrer nebenbei arbeiten und sich was dazuverdienen“, sagt Angelika Scholte-Reh. Deshalb begleitet Argwohn die Bernsdorfer Pfarrerin - die nebenberuflich als Supervisorin arbeitet.
Eigentlich ist sie mit ihrer Arbeit bei der Kirche völlig ausgelastet. Die Hälfte ihrer Stelle gilt der Aufgabe als Gemeindepfarrerin und soll 30 Stunden pro Woche ausmachen. „Ich arbeite aber etwa 50“, hat sie ausgerechnet. Christenlehre, Eheberatung, Aussiedlerbetreuung, Gottesdienste, Frauenarbeit, Geburtstagsbesuche und natürlich Taufen, Beerdigungen, Eheschließungen und Trauungen füllen die Zeit aus. „Das ist meine erste Profession“, sagt Angelika Scholte-Reh. „Das bleibt auch so und steht für mich überhaupt nicht in Frage.“
Die andere Hälfte der Stelle ist dem Unterrichten vorbehalten. Vier Jahre hat die 39-Jährige nun als Vertretung am Hoyerswerdaer Johanneum gelehrt. In anderen Schulen ist sie ebenfalls bekannt. Von einer 40-Stunden-Woche und Dienst nach Vorschrift kann also keine Rede sein. Trotzdem hat die studierte Theologin vor etwa drei Jahren mit der Zusatzausbildung zur Supervisorin an der Berliner Diakonischen Akademie der Evangelischen Kirchen in Deutschland begonnen. Denn die Seelsorge liegt ihr seit vielen Jahren am Herzen. „Das ist meine zweite Profession“, sagt die aus Nordrhein-Westfalen stammende Frau. Ihrer Meinung nach treffen Wollen und Können auf diesem Gebiet bei ihr zusammen. „Wenn ich überhaupt eine Gabe habe, dann eine seelsorgerische. Ich bin eine gute Beraterin“, sagt die Pfarrerin.
Den Wunsch nach einer so ausgeprägten beraterischen Tätigkeit wie der einer Supervision hat Angelika Scholte-Reh schon lange. „Ich verfolge das Ziel seit über acht Jahren“, sagte sie. Zielgerichtet hat sie sich seit 1994, kurz nach dem 2. Staatsexamen und in der Vikariatszeit, darauf vorbereitet: Unter anderem kümmert sie sich als Diakonisse („ja, mit Häubchen auf“) um die Arbeit mit Jugendlichen und erlernt psychologische Methoden. In absehbarer Zeit hat sie ihr Ziel erreicht. Alle Prüfungen hat sie in der Tasche. Jetzt fehlt „nur“ noch die Abschlussarbeit. Wenn sie die besteht, ist sie Supervisorin. Frei übersetzt heißt Supervision „Beratung für Menschen in ihrem Arbeitsumfeld“, erklärt die Pfarrerin. Ein frei erfundenes Beispiel: Die Pflegerin eines ambulanten Dienstes kümmert sich um Senioren. Eine der Rentnerinnen wirft ihr ständig vor, sie zu hintergehen, ihr Geld zu stehlen. Die Pflegerin bezieht die Vorwürfe auf sich. In der Supervision stellt sie aber fest: Meinen Kollegen geht es ja ähnlich wie mir! Woran kann es liegen, dass wir (obwohl völlig frei von Schuld) von der Rentnerin verdächtigt werden? Gemeinsam mit der Supervisorin werden Strategien entwickelt, sich selber zu entlasten und der Rentnerin zu helfen. Das funktioniert in Einzel- und in Gruppengesprächen. Die Supervision wird auf der einen Seite von der Therapie und auf der anderen Seite von Strategien zur gezielten Beeinflussung von Menschen abgegrenzt. „Beides mache ich nicht“, sagt Angelika Scholte-Reh. Vor allem die Beeinflussung, die zur gängigen Verkaufstaktik von Marketingabteilungen gehören, lehnt sie ab. Das widerstrebe ihrem Menschenbild, sagt die Kirchenfrau. „Mir geht es nicht um Gewinn-, sondern um Qualitätsmaximierung am Arbeitsplatz.“ Supervisionen werden in verschiedenen Branchen eingesetzt. Angelika Scholte-Reh hat den sozialen Bereich gewählt. Da, wo „Menschen mit Menschen arbeiten“. Obwohl sie die Abschlussarbeit noch nicht abgegeben hat, arbeitet die angehende Supervisorin schon. Vor allem öffentliche Verwaltungen in der Lausitz haben sie beauftragt. Genauere Angaben darf sie allerdings nicht machen: Supervisoren unterliegen der Schweigepflicht!
Dass sie diese Aufträge aber überhaupt schon annehmen darf, liegt an der Deutschen Gesellschaft für Supervision (DGSv). Erst wenn sie zustimmt, ist ein Neuling als Supervisor anerkannt. Angelika Scholte-Reh hat den Status bis zum Ausbildungsende vorbehaltlich.
Ärger wird sie deshalb nicht bekommen. Die fachliche Qualifikation schätzen die Fachleute von der DGSv ein und Konkurrenten können sich nicht beschweren - es gibt schlichtweg keine in der näheren Umgebung. Die nächsten Kollegen sitzen laut DGSv in Dresden, Görlitz und hinter Cottbus.
Noch hat die Pfarrerin genug in Gemeinde und Schulen zu tun, um mehr als nur ein paar Stunden in der Woche als Supervisorin zu arbeiten. Abgehobene Preise (die der Redaktion bekannt sind) verlangt sie dafür nicht. Ihr geht es um den sozialen Aspekt - und nicht um Dazuverdienen und ein dickes Konto.
Mehr Informationen zum Thema Supervision im Internet unter: www.dgsv.de