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Seht ihr den Fluss vor Brücken nicht?

Es gibt in Deutschland nicht viele große Städte, die für mich Heimat sein könnten. Die meisten haben kein Gesicht, oder ein zu eindimensionales. Außer meinem Berlin kämen für mich vielleicht nur Leipzig und Hamburg infrage.

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Es gibt in Deutschland nicht viele große Städte, die für mich Heimat sein könnten. Die meisten haben kein Gesicht, oder ein zu eindimensionales. Außer meinem Berlin kämen für mich vielleicht nur Leipzig und Hamburg infrage. Und natürlich Dresden. Meine besondere Zuneigung zu eurer Stadt teile ich mit vielen Freunden und mir bekannten Menschen. Ich habe natürlich den Blick von außen, und an genau dem möchte ich euch in dieser Kolumne teilhaben lassen. Eine persönliche und ganz naive Liebeserklärung.

Das besonders schöne Gesicht Dresdens finde ich in der Mentalität der Menschen hier. Bei aller Wachheit, bei allem Fortschritt spüre ich das Bewusstsein für Tradition. Die adlige Herkunft der Dresdner Sachsen verbietet krakeelende Konfliktlösungen, ich erlebe immer wieder eine äußerst kultivierte Form des Streitens. Auf kleiner, wie auf großer Ebene.

Der Wiederaufbau des alten Stadtkerns und vor allem der Wiederaufbau der Frauenkirche ist das Symbol für eure Stadt, ein Symbol, das eine weltweite Strahlkraft hat. Das Alte muss dem Neuen nicht weichen. Das Glück der Gegenwart liegt im harmonischen Zusammenspiel von Vergangenheitspflege und Zukunftsvision.

Mit dem Charme der Stadt

Nun hat Dresden, im Gegensatz zu Berlin, auch die besseren finanziellen Voraussetzungen, sein Gesicht zu pflegen. Doch ich wage zu behaupten, dass diese finanzielle Grundlage dem wahren Reichtum, nämlich der künstlerischen Seele eurer Stadt, zu verdanken ist. Wie zu Zeiten der Dresdner Monarchie gelingt es euch, unter demokratischen Verhältnissen Mäzen für Kultur zu sein. Das zieht Künstlergestalten aus aller Welt samt Publikum an, Kultur- und Kunstinteressierte, Scharen von Touristen und Bildungsbürger, die sich mit dem Charme eurer Stadt schmücken wollen und können.

Eine kreative avantgardistische Szene hat sich in der Neustadt eingenistet. Viele neue Inspirationen für alle möglichen Genres schlagen Wellen von hier bis nach Berlin und bestimmt noch viel weiter. Ich kann nur sagen, was ich weiß.

Aber eben auch die Hochkultur setzt in dieser Stadt qualitativ Zeichen.

Ich will jetzt nicht anfangen, vom Schlachtschiff der ernsten traditionellen Künste, der Semperoper, zu reden. Ich möchte mich stark machen für einen altehrwürdigen stolzen Segler: die Dresdner Staatsoperette in Altleuben.

Das Genre Operette wirkt in der Tat auf den ersten Blick sehr angestaubt. Doch es handelt sich hier nur um den Namen. Heute nennt man dieses Fach Musiktheater. Das Ensemble hat unter der Leitung von Intendant Wolfgang Schaller längst bewiesen, dass es nicht nur alte Werke dieser Spielform bewahrt, sondern mit Anspruch und Leidenschaft neue Wege sucht und geht.

Damit meine ich nicht nur die erfolgreiche Inszenierung von „Jesus Christ Superstar“, in der ich die Titelrolle singen darf, sondern ebenso erfolgreiche Stücke wie „Ritter Blaubart“ und „Die schöne Helena“. Durch die Symbiose mit dem Dresdner Zwingertrio werden hier neue Aspekte gesetzt, ohne den klassischen Stoff zu vergewaltigen. „Hänsel und Gretel“, „Emil und die Detektive“, „Kiss me Cole“ und das geplante Musical „Chess“ sind weitere Zeugnisse der ungewöhnlichen Bandbreite des experimentierfreudigen Ensembles.

Das Vorurteil, die Operette läge fest in Händen des Seniorenpublikums, wird schon allein durch die zahlreichen jungen Tänzer, Schauspieler und Sänger aus Deutschland und ganz Europa entkräftet, denen dieses Haus entweder als Sprungbrett diente, oder die sich fest im Ensemble etabliert haben. Und dass auch die Förderung der Jugend hier groß geschrieben wird, zeigen die zahlreichen künstlerischen Arbeiten mit Dresdner Schulklassen. Keine Selbstverständlichkeit in der heutigen Zeit.

Das Neue neben dem Alten, immer mit höchstem qualitativem Anspruch. Der stetige Anstieg der Zuschauerzahlen innerhalb der letzten Spielzeiten ist der Beweis, dass hier der richtige Weg beschritten wird. Wolfgang Schaller hat den Willen, mit den altmodischen Vorurteilen aufzuräumen. Die Staatsoperette soll durchaus eine Alternative zum modernen Theater werden. Aber dazu muss man ihm auch eine Chance geben.

Erhaltet das Kleinod

Man kann Hochkultur (und dazu zähle ich auch viele Werke des Musiktheaters) durchaus auch ohne Subventionen auf die Bühne bringen. Es gibt eine Menge Beispiele für viel beworbene Inszenierungen von Musicals, die während ihrer Tourneen auch in Dresden Station machen.

Doch leider bleibt dabei nur ein Fragment der ursprünglichen Idee übrig. Ein zusammengeschusterter Schatten. Eine Show mit austauschbaren Darstellern und pompöser Aufmachung mag teuer aussehen, und ist es im Regelfall auch. Mit der hochwertigen traditionellen Kunst, die ein festes Ensemble mit allen professionellen Gewerken als Grundlage hat, kann sie indes nicht konkurrieren.

Liebe Dresdner, macht euch stark für ein Kleinod eurer Stadt! Dresden besitzt die letzte staatliche Operette Deutschlands. Macht euch stark für ein neues Haus im Stadtzentrum, in guter Lage. Oder seht ihr den Wald vor Bäumen nicht mehr? Oder besser, den Fluss vor Brücken!?Dirk Zöllner, Rock- &Soulsänger, Berlin