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Shoppen, Schuften, Streiten

Bei dem Versuch, Weihnachten perfekt zu gestalten, vergessen viele Familien ihre eigentlichen Bedürfnisse.

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Von Holger Metzner

So richtig kann sich Claudia Schönberger dieses Jahr nicht auf Weihnachten freuen: Seit diesem Jahr lebt die 24-Jährige mit Freund Thomas zusammen in Freital, ihr gemeinsamer Sohn ist gerade ein halbes Jahr alt. „Ich weiß überhaupt nicht, wie und wo wir feiern sollen“, klagt sie. „Ich würde gern zu meinen Eltern, aber dann sind sicher die Eltern von Thomas beleidigt.“ Die Sorge um die Familienharmonie bringt sie um den Schlaf. Dabei soll doch gerade zu Weihnachten alles perfekt sein. Deshalb darf auch ihr richtiger Name nicht in der Zeitung stehen. Sonst würde vielleicht alles noch schlimmer, fürchtet sie.

Familientherapeutin Sabine Schmidt von der Pirnaer Diakonie kennt die Probleme, die vor allem junge Paare zu Weihnachten haben. „Sie wollen es möglichst allen Seiten recht machen“, sagt sie. „Und gerade zu Weihnachten hat jeder eine eigene Idealvorstellung davon, wie das Fest ablaufen soll.“

Dabei ist es gar nicht so schwer, Weihnachten tatsächlich zum „Fest der Liebe“ zu machen. Wichtigster Rat der Therapeuten: Miteinander reden. „Gerade in modernen Patchworkfamilien, wo jeder einen anderen Hintergrund und andere Erwartungen hat, kann man sich gar nicht genug über seine Bedürfnisse und Wünsche austauschen“, sagt Sabine Schmidt. „Fragen Sie sich, wie Sie Weihnachten als Kind erlebt haben oder was Sie vielleicht bei der Feier im letzten Jahr vermisst haben. Das hilft, sich darüber klar zu werden, was man eigentlich von den Feiertagen erwartet.“

Zweiter Rat: Sich nicht von anderen vorschreiben lassen, wie Weihnachten auszusehen hat, schon gar nicht von der Industrie und der Werbung. Anders als die bunten Plakate versprechen, machen Spielkonsolen und MP3-Player niemanden automatisch glücklich. Und wer hektisch eine lange Liste abarbeitet, um auch jedem Bekannten etwas zu kaufen, hat das Wichtigste schon fast vergessen: die Freude am Schenken. „Manchmal ist weniger mehr“, rät Schmidt: Weniger Festessen, weniger Geschenke, weniger Verpflichtungen.“ Besonders traurig: Kinder, die von einer Geschenkflut regelrecht zugeschüttet werden. „Wir sollten bedenken, was wir den Kindern antun, wenn sie sich über ein Geschenk gar nicht mehr richtig freuen können.“

Die Schere öffnet sich weiter

Vor allem, da sich die soziale Schere immer weiter öffnet. Während die einen Familien lernen müssen maßzuhalten, sorgen sich andere darum, überhaupt gemeinsam feiern zu können. „Hartz IV ist eben nicht für Geschenke gemacht“, sagt Schmidts Kollegin und Leiterin der Beratungsstelle in Pirna, Ilona Ukro. Um den einen wie den anderen Familien zu helfen, empfiehlt sie einen Blick über den Tellerrand. Egal ob Geldspenden, Geschenkeaktionen oder Gaben für die Tafel: Wer vom Eigenen abgibt, beglückt sich auch selbst. „Geteilte Freude ist doppelte Freude“, sagt Ukro.

Trotzdem ist die Weihnachtszeit anfällig für Streit, gerade weil die Erwartungen an harmonische Stunden so hoch sind. Auch dazu geben die Familienexperten Empfehlungen: „Streit kann man auch vertagen“, sagt Sabine Schmidt.

Wer also weiß, dass es ausgerechnet zu Weihnachten krachen könnte, kann vorher vereinbaren, die Diskussion später auszutragen und beim ersten Grollen an die Vereinbarung erinnern. „Am wichtigsten ist aber, sich klar zu machen, dass auch die anderen es fast immer gut meinen“, sagt Ilona Ukro. Wer also gleich aufbraust, weil der Liebste einen schiefen Baum gekauft oder die Gans falsch zubreitet hat, braucht sich über schlechte Stimmung nicht zu wundern. Gerade zu Weihnachten sollte die Regel besonders beachtet werden: Fünfmal loben, bevor man einmal kritisiert.