Sind unsere Eliten wirklich so abgehoben?

Von Michael Bittner
Wie es schon der „Ideologie“ ergangen ist, geschieht es nun auch dem „Populismus“: Aus einem Wort mit Inhalt ist ein entleerter Schimpfausdruck geworden, den man willkürlich gegen den politischen Gegner schleudert. Inzwischen dient der Vorwurf des „Populismus“ in der politischen Debatte oft nur noch dazu, jeden Protest als gehaltlos oder gefährlich zu verwerfen, der nicht ins eigene Konzept passt.
Der Soziologe Michael Hartmann unternimmt in seinem Buch „Die Abgehobenen“ den Versuch, die berechtigte Kritik an den herrschenden Eliten von jenem bloßen Ressentiment zu unterscheiden, das man mit Recht als populistisch bezeichnen könnte. Hartmann greift dazu auf eigene und fremde empirische Studien zurück, was sein Buch aus der Masse der bloßen Kampfliteratur zum Thema erhebt.
Der neue Adel
Hartmann geht von der Einsicht aus, dass es falsch ist, von nur einer „Elite“ zu sprechen. Es gibt nicht eine einzige herrschende Oligarchie, sondern eine Vielzahl von „Eliten“ an den Spitzen der verschiedenen Bereiche der Gesellschaft. Diese Eliten unterscheiden sich. So ist etwa die Elite der Wirtschaft besonders abgeschottet. Neue Mitglieder werden ausschließlich durch „Kooptation“ bestimmt, also von denen ausgewählt, die schon Mitglieder der ökonomischen Elite sind. Auf die politische Elite hingegen kann die ganze Bevölkerung durch Wahlen einwirken.
Die Politik ist deswegen weniger exklusiv, auch Menschen aus der Arbeiterklasse haben eine Chance, ihre Erfahrungen und Forderungen einzubringen. Dass die Protestparteien der Rechten fast ausschließlich gegen die politische (und mediale) Elite eifern, die ökonomische aber schonen, lässt Rückschlüsse auf ihre wahren Absichten zu.
Die Mitglieder der Eliten selbst haben einen ganz eigenen Begriff davon, was „Elite“ bedeutet: Sie halten sich einfach für die Besten. Ihr Aufstieg sei das Ergebnis von Leistung, alle Privilegien und ihr teilweise gigantisches Einkommen seien deswegen vollauf verdient. Hartmanns Analyse der Aufnahmerituale der Eliten korrigiert dieses Bild. Zwar sind für den Aufstieg wirklich Talent und harte Arbeit erforderlich, die berühmten „Nieten in Nadelstreifen“ eher Ausnahme als Regel. Aber Leistung genügt nicht. Um in Eliten aufgenommen zu werden, muss man denen, die schon Mitglied sind, durch „soziale Ähnlichkeit“ gefallen. Man braucht denselben „Habitus“, muss denken, sprechen, sich kleiden, essen, scherzen, als wäre man schon Mitglied der Elite. Am leichtesten fällt dies naturgemäß jenen, die in einem elitären Elternhaus aufgewachsen sind. So kommt es, dass sich gerade in der Privatwirtschaft die Elite fast ausschließlich aus dem wohlhabenden Großbürgertum rekrutiert. Oft kommen die Angehörigen der Elite in jeder Generation aus immer den gleichen Familien. Was sich hier gebildet hat, ist nichts anderes als ein neuer Adel. Für die Demokratie ist diese Entwicklung gefährlich.
Denn eine sich zunehmend abschottende Elite, die von den Lebensverhältnissen der Mehrheit nichts mehr weiß und wissen will, treibt zugleich die neoliberale Politik der gesellschaftlichen Spaltung voran: Steuersenkungen und sprudelnde Gewinne für die reiche Minderheit, für die Mehrheit höhere Abgaben, stagnierende Löhne und gekürzte Sozialleistungen. Michael Hartmann weist mit Blick auf Umfragen und Wahlergebnisse nach, dass diese Spaltung wesentlicher Grund für den Aufstieg rechter Protestparteien ist, und konstatiert: „Den Rechtspopulismus bekämpfen bedeutet deshalb, auf jeden Fall der herrschenden neoliberalen Politik entgegenzutreten.“
Wieso aber gelingt es der ökonomischen Elite so mühelos, ihre Vorstellungen auch im Feld der Politik durchzusetzen? Antworten auf diese Frage liefert das Buch „Die Diktatur der Konzerne“, das der ehemalige „Greenpeace“-Chef und „Foodwatch“-Gründer Thilo Bode zusammen mit seinem Mitarbeiter Stefan Scheytt geschrieben hat. Es sind im Wesentlichen drei Wege: Zum einen sind die globalen Konzerne inzwischen auf eine Größe gewachsen, die es ihnen ermöglicht, ganze Staaten zu erpressen.
Einfluss durch legale Korruption
Wer nicht Steuern senkt und Subventionen zahlt, der wird mit dem Entzug von Investitionen bestraft. Zum Zweiten sind die Konzerne so reich, dass sie ihre Interessen auf dem Weg legaler Korruption durchsetzen können, etwa durch Parteispenden, Sponsoring an Universitäten, Mäzenatentum im Bereich der Kunst und den Kauf von Medienhäusern. Zum Dritten hat sich die Grenze zwischen staatlicher und ökonomischer Elite aufgelöst.
Nach Bodes Urteil existiert inzwischen ein „industriell-politischer Komplex“, der die Demokratie bedroht, weil jene, die eigentlich das Gemeinwohl im Auge haben sollten, zu Agenten von Konzerninteressen geworden sind. Ein „Drehtürmechanismus zwischen Politik und Wirtschaft“ sorgt dafür, dass Politiker, die dem Kapital Gefallen erweisen, durch Beraterverträge und Vorstandsposten selbst Teil der ökonomischen Elite werden. Ihre Thesen belegen Bode und Scheytt mit vielen bestürzenden Beispielen aus der Finanzbranche, der Netzökonomie und anderen Wirtschaftszweigen.
Beide Bücher liefern reichlich Argumentationsmaterial für eine globale Protestbewegung der Zivilgesellschaft gegen neoliberale Politik und Ökonomie. Erfolg wird diese Bewegung haben, wenn sie plumpe populistische Phrasen meidet und sich zugleich nicht davor fürchtet, als „populistisch“ verunglimpft zu werden.
Die Bücher: Michael Hartmann: Die Abgehobenen, Campus, 276 S., 19,95 Euro; Thilo Bode: Die Diktatur der Konzerne. S. Fischer, 240 S., 18 Euro