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Skeleton will Blitzakkus für Hybridautos bauen

Noch ist kein Vertrag mit einem Hersteller unterschrieben, die estnische Firma in Großröhrsdorf ist aber zuversichtlich. Ab 2023 könnte es losgehen.

Von Nora Miethke
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Die Staatspräsidentin der Republik Estland Kersti Kaljulaid und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erkundigten sich bei Managing Direktor Ants Vill über die Entwicklung der Firma Skeleton in Großröhrsdorf.
Die Staatspräsidentin der Republik Estland Kersti Kaljulaid und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erkundigten sich bei Managing Direktor Ants Vill über die Entwicklung der Firma Skeleton in Großröhrsdorf. © Jürgen Lösel

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kam im privaten kleinen BMW. Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid rauschte im Maybach vor, zur Verfügung gestellt von der Bundesregierung. Das zeige die hohe Wertschätzung für die Politikerin aus dem Baltikum, hieß es. Gemeinsam statteten Kaljulaid und Kretschmer am Sonntagabend der Firma Skeleton Technologies in Großröhrsdorf einen einstündigen Besuch ab – noch bevor am Montag der offizielle Deutschlandbesuch der Präsidentin startete.

Taavi Madiberk, Vorstandschef und Co-Gründer von Skeleton, schwelgte zur Begrüßung noch in Erinnerung an die Standorteröffnung 2017 mit dem damaligen Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich und der estnischischen Ministerin für Unternehmertum und Informationstechnologie, Urvo Palo. „Aber jetzt haben wir eine neue Technologie und eine neue Generation von Politikern“, sagte Madiberk.

Skeleton Technologies ist nach eigenen Angaben Weltmarktführer für Ultrakondensatoren. Das sind Hochleistungs-Energiespeicher, die im Gegensatz zu Lithium-Ionen-Batterien in wenigen Sekunden aufgeladen werden können und eine Million Ladezyklen haben. Durch ihren Einsatz können Schwankungen in Stromnetzen geglättet werden oder Hybridbusse durch Rückgewinnung der Bremsenergie Kraftstoff sparen und so weniger Kohlendioxid in die Luft ausstoßen.

Ein spezieller Kohlenstoff mit einer skelettartigen Gitterstruktur ist das Geheimnis der Energiespeicher, daher auch der Name des Unternehmens „Skeleton“. Noch unterscheiden sich die Ultrakondensatoren durch eine viermal so hohe Energiedichte von der der Wettbewerber wie etwa dem US-Elektroautohersteller Tesla. Doch um diesen Technologievorsprung auch am Markt wirtschaftlich verwerten zu können, muss das Unternehmen erheblich investieren. Madiberk hatte im April 2019 beim Besuch von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig in Tallinn angekündigt, 25 Millionen Euro in den sächsischen Standort zu stecken und die Zahl der Mitarbeiter bis 2024 auf über 500 zu erhöhen.

Kersti Kaljulaid und Michael Kretschmer im Gespräch mit Taavi Madiberk (r), CEO von Skeleton Technologies.
Kersti Kaljulaid und Michael Kretschmer im Gespräch mit Taavi Madiberk (r), CEO von Skeleton Technologies. © Jürgen Lösel

Vor seiner Präsidentin und Ministerpräsident Kretschmer – die, wie vorgeschrieben mit Corona-Abstand von einander saßen - zog er Bilanz, was seitdem erreicht wurde. Statt 25 wurden bislang 40 Millionen Euro investiert betont er. Die Zahl der Beschäftigten in Großröhrsdorf liegt bei derzeit 69 plus 51 Mitarbeiter in Estland. Mit einem europäischen Autohersteller wurde in diesem Jahr eine Absichtserklärung über die Lieferung von Ultrakondensatoren für Hybridfahrzeuge geschlossen. „Das ist noch kein richtig unterzeichneter Vertrag“, stellt Madiberk gegenüber der SZ klar. Er ist optimistisch, dass es zum Vertragsabschluss kommt. Die Produktion dafür soll 2023 beginnen. „Um solche Verträge erfüllen zu können, müssen wir weiter stark in Forschung und Entwicklung sowie die Serienfertigung des Produkts investieren“, betont er.

Die Covid 19-Krise habe auch das Unternehmen getroffen, jedoch nicht so stark wie andere Firmen. Denn die Produktion für den Automobilbereich soll erst Ende 2021 hochgefahren werden. Derzeit verkauft Skeleton vor allem seine Blitzakkus für Industrie- und Stromnetzanwendungen, aber auch für eine Medizingeräte, um die Stromregelung zu verbessern. Da sorgt die Corona-Pandemie für positive Auswirkungen auf das Geschäft. Zu den Kunden gehören Skoda Electric sowie die Straßenbahn-Gesellschaft in Warschau. Die steigende Nachfrage nach Kondensatoren infolge des Ausbaus an erneuerbaren Energien und durch die Elektrifizierung von Fahrzeugen sieht Madiberk nicht durch die derzeitige Corona-Wirtschaftskrise gefährdet. Skeleton ist das einzige Unternehmen aus Sachsen, dass an der Batterieallianz des Bundeswirtschaftsministerium beteiligt ist. Ziel ist der Aufbau einer wettbewerbsfähigen Batteriezellenproduktion in Europa.

Die größte Geschäftschance seit Erfindung des Internets

Während er mit den Politikern die steilen Treppen zur vollautomatischen Mischanlage hochklettert, wo Kohlenstoff mit Wasser zu einer Schlemme verrührt wird, nutzt er die Gelegenheit zu appellieren, dass der Klimawandel die größte Geschäftschance seit Erfindung des Internets sei und dass Europa nicht auch diese Welle verpassen dürfe wie es die Internetwelle verpasst habe. Die zehn größten Internetkonzerne der Welt kommen aus den USA und China. Die Bekämpfung der Corona-Pandemie dürfte nicht die Investitionen in energieeffiziente Technologien verdrängen. In Kersti Kaljulaid hat er da eine Mitstreiterin. „Europa ist der größte und der reichste Markt. Deshalb sind wir in einer besonderen Verantwortung zur C02-Reduktion“, so die estnische Präsidentin.

Die Rezeptur für die Mischung des Graphen wird jedoch nicht verraten. Skeleton hat in Sachsen eine vollintegrierte Wertschöpfungskette aufgebaut – angefangen von der Entwicklung des Rohstoffs für die Kondensatorzelle bis zur Produktion der kompletten Module, die dann in Bussen und E-Autos eingesetzt werden sollen. „Und Industriespionage läuft nicht nur online“, sagt Madiberk und berichtet den beiden Politikern, wie zwei Mal unangekündigt Chinesen vorfuhren und behaupteten, sie hätten eine Sondervereinbarung für eine Besichtigung der Produktionsstätte.

Zum Schluss des Rundgangs tauschen Kaljulaid und Kretschmer die obligatorischen Gastgeschenke und Gegenbesuch-Einladungen aus. Dann steigt die estnische Präsidentin wieder in den Maybach und rauscht mit Blaulicht-Eskorte zurück nach Berlin.