Skin lässt die Neunziger in Dresden krachen

Wirklich überraschend war nur, dass es gar keine politischen Statements gab. Ausgerechnet an dem Tag, an dem Boris Johnson in Großbritannien das Ruder in die Hand gedrückt bekam, sparte sich Deborah Anne Dyer jeden Kommentar zu der aus ihrer Sicht hoch problematischen Entwicklung.
Dyer alias Skin, seit 25 Jahren Sängerin der Brit-Rock-Combo Skunk Anansie, hängt sich normalerweise gern sehr weit aus dem Fenster, ließ auf der derzeit laufenden Tour regelmäßig Tiraden über den Brexit und auch über Johnson ab. Am Dienstag vertraute sie beim Konzert im Dresdner Alten Schlachthof ganz auf die klaren Botschaften in ihren Songs. Auf „Yes It’s Fucking Political“ etwa, als überaus derbes Brett in den Saal geknallt, oder auf das ironische „Intellectualise My Blackness“.
Knapp 1.500 Menschen verstanden ohne zusätzliche Erklärungen, worum es dieser Band geht und feierten sie, als gäbe es kein Morgen. Egal, ob weniger bekannte Nummern aus der Neuzeit oder die Mega-Kracher der Neunziger à la „Hedonism“, „Weak“ oder „Brazen“: Mancher aus der Ü-40-Fan-Fraktion gab ohne Rücksicht auf die eigene Konstitution alles, was in Sachen Bewegung möglich war. Doch das konnte nie genug sein.
Eine gab immer noch wesentlich mehr. Skin fegte in ihren klobigen Boots über die Bühne, verbog ihren Körper schon fast artistisch, balancierte einhändig den Mikro-Ständer, ließ sich mehrmals in die Massen fallen – und sang dennoch stets so kraftvoll und vor allem so eindringlich, dass es kein Entrinnen gab. Sollte jemals irgendwo eine Professur für Rock-Performance installiert werden, muss sie berufen werden. Was diese Frau, immerhin bald 52, auf der Bühne abzieht, lässt sich schwerlich toppen.

Bei dieser Frontfrau standen die Bandkollegen stets etwas im Schatten, so engagiert sie auch arbeiteten. Doch ohne ihr präzises Spiel, die raschen Wechsel zwischen Riff-Exzess und gefühlvoller Ballade, hätte wiederum Skin nicht den Stoff, aus dem sie ihre Energie saugt.
Obwohl sie über sich sagt, Gitarre zu spielen wie ein taubes Kamel, griff sie selbst schon mal in die Saiten, spielte zudem Theremin mit Hand und Zunge, trommelte auf einer Pauke rum, marschierte final einmal durch den ganzen Saal. Und sie modifizierte einen AC/DC-Klassiker. Für den Zugabenblock baute die Band „Highway To Hell“ in ein höllisch groovendes Saitenfeuerwerk um, dem Skin mit ihrem Gesang zudem eine Prise Soul verpasste. Da wäre selbst Angus Young genauso ausgerastet wie das Dresdner Publikum.