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So arbeiten wir in der Corona-Krise

Das Coronavirus stellt den Alltag in der Redaktion auf den Kopf. Journalisten kämpfen wie ihre Leser mit Corona-Angst und erleben unerwartete Sternstunden.

Von Olaf Kittel
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Wie leer gefegt: Chefredakteur Uwe Vetterick steht allein an der Newsbar im Newsroom von sächsische.de.
Wie leer gefegt: Chefredakteur Uwe Vetterick steht allein an der Newsbar im Newsroom von sächsische.de. © ronaldbonss.com

Was ist denn hier los? Die Schaltzentrale von Sächsischer Zeitung und Sächsische.de im Dresdner Haus der Presse ist zur Hauptproduktionszeit gegen 16 Uhr wie leer gefegt. Kein angespanntes Arbeiten wie sonst, keine Konferenzen der Ressortleiter, keine Zurufe, keine Telefonate. Nichts. Vollkommene Stille. Einsam und allein steht Chefredakteur Uwe Vetterick an der „Newsbar“, an der sonst acht Kollegen schalten und walten. Auch die Schreibtische für die Seitenproduktion der Zeitung sind unbesetzt.

Nein, der Coronavirus hat noch nicht zugeschlagen bei der Sächsischen. Das Verlagshaus hat sich selbst einen radikalen Umbau verordnet, damit Mitarbeiter gesund bleiben und Sächsische.de und SZ weiter erscheinen können. Dazu wurden fast alle Redakteure ins Homeoffice geschickt, kaum jemand darf noch ins Haus der Presse, auch Besucher nicht. Und jede Redaktion zwischen Dresden und Görlitz musste zwei Gruppen bilden, die sich nie begegnen dürfen, damit sie sich nicht gegenseitig anstecken können. Sie dürfen nicht mal die gleichen Toiletten benutzen.

Wenn also in einer Gruppe ein Krankheitsfall auftritt, dann kann wenigstens die zweite Gruppe weiterarbeiten. Jeden morgen tagt ein Krisenstab, der die Maßnahmen überwacht und neue beschließt. Die größte Sorge ist, dass nach einer Infektion das ganze Haus der Presse geschlossen wird. Bloß das nicht.

Die Produktion läuft

Und, Chefredakteur, wie fühlt man sich so ohne Mannschaft in der Nähe? Geht das überhaupt? „Geht schon“, meint Uwe Vetterick, „auch wenn es schräg ist, so ohne direkten Austausch mit den Kollegen. Aber wir haben heute digitale Kommunikationskanäle, die ein tolles Leben entfachen. Ich tausche mich jetzt rasch mal auch mit Mitarbeitern aus, die ich sonst eher selten sehe.“

Und, welche Auswirkungen hat das auf die Leser? Vetterick lacht: „Na, keine, die Produktion läuft. Schön zu sehen, dass alle Mitarbeiter wissen, was zu tun ist.“ In den digitalen Konferenzen mit seinen Ressortleitern legt Vetterick jetzt besonderen Wert darauf, dass Geschichten von Sachsen aufgespürt werden, die in diesen Krisenzeiten vorangehen, anderen Mut machen und mit schwierigen Situationen fertig werden.

An ein neues Arbeitsumfeld muss sich auch Marc Hippler gewöhnen, der unter anderem die gegenwärtig wichtigste journalistische Form verantwortet: das News-Blog auf Sächsische.de. Hippler arbeitet am Familien-Esstisch, das Frühstücksgeschirr steht noch drauf, seine beiden Kinder, drei und sechs, toben drumherum.

Marc Hippler ist Mitglied der Chefredaktion und Head of Digital Storytelling.
Marc Hippler ist Mitglied der Chefredaktion und Head of Digital Storytelling. © ronaldbonss.com

Per Videokonferenz und Chatkanal tauscht er sich mit Reportern aus und sorgt dafür, dass vom Wohnzimmer aus alle Informationen zur Corona-Krise aus den Regionen, aus Deutschland und der Welt schnell und professionell bei Sächsische.de nachzulesen sind. Dieses Newsblog ist die erfolgreichste journalistische Form, die die Sächsische jemals hatte, meint er. Bisher wurde es über vier Millionen mal aufgerufen. Überhaupt hat Sächsische.de jetzt im Schnitt doppelt so viele Nutzer wie sonst, an manchen Tagen sind es drei bis viermal so viele. Hippler spricht von einer „Sternstunde der regionalen Newsportale“.

Die beiden Herren freilich wären aufgeschmissen, wenn nicht SZ-Reporter gute Geschichten recherchierten, trotz aller Beschränkungen. Wie Theresa Hellwig, eine junge Redakteurin aus der Bautzner Redaktion. In der vergangenen Woche berichtete sie umfassend vom gewaltigen Lkw-Stau an der polnischen Grenze, Ende der Woche besuchte sie Händler im Bautzner Kornmarktcenter, sprach mit ihnen über ihre Ängste und vagen Hoffnungen.

SZ-Redakteurin Theresa Hellwig bei der Recherche während des Mega-Staus auf der A 4.
SZ-Redakteurin Theresa Hellwig bei der Recherche während des Mega-Staus auf der A 4. © SZ/Uwe Soeder

Dazu musste sie raus dem Homeoffice, mit Beteiligten in Kontakt treten. Nicht immer ist der gewünschte Mindestabstand möglich. Hat sie Angst? „Na ja, ein mulmiges Gefühl ist schon da. Aber wir müssen berichten, und es ist die spannendste und aufregendste Zeit bisher in meinem Reporterleben.“

Von ihren älteren Kollegen hat sie viel gehört von ähnlichen Krisensituationen, vor allem während der Hochwasserkatastrophen in Sachsen. Auch da ist die Redaktion regelmäßig über sich hinausgewachsen.

Recht bequem gemacht hat es sich unterdessen Landespolitik-Reporter Gunnar Saft, der Autor der satirischen Wochenend-Kolumne „Sächsisch betrachtet“. Daheim hat er den besseren Sessel und die umfangreichere Computertechnik, meint er verschmitzt. Er kann jetzt nicht mehr in den Ministerien oder den Landtagsgängen unterwegs sein und direkt mit sächsischen Politikern sprechen.

Seit ein paar Tagen laufen Kontakte nur noch per Telefon. Beide Seiten wollen das so. Und so führte Gunnar Saft denn das am Freitag veröffentlichte Interview mit Ministerpräsident Michael Kretschmer nicht wie sonst in dessen Amtszimmer, sondern von seinem bequemen Bürostuhl aus per Telefon. „Funktioniert bisher gut. Ich bekomme alle Informationen, die ich brauche. Jahrelange Kontakte und fairer Umgang helfen mir gerade, meine Arbeit weiterzuführen.“

Mit Kindern daheim ist das Homeoffice freilich nicht gerade entspannt. Johanna Lemke, verantwortlich für die Wochenend-Ausgabe der SZ, hat zwei Kinder, fünf und sieben, die wollen beschäftigt sein. Sie teilt sich mit ihrem Mann den Arbeitstag, sie arbeitet vormittags, ihr Mann nachmittags. Abends, wenn die Kinder im Bett sind, setzt sie sich noch mal hin. Die Produktion am Sonnabend hat funktioniert, ein Interview mit Schauspieler Christian Friedel ist auch entstanden. Und, ja, Homeoffice sei zwar durchaus anstrengend unter diesen Bedingungen. „Aber super, dass wir das jetzt mal alle ausprobieren.“

Manche Ressorts sind in dieser Krisenzeit gerade weniger gefragt, andere mehr. Die Kulturredaktion hat es gerade schwer, so ohne Kulturveranstaltungen. Auch deshalb gibt es auf den Feuilletonseiten jetzt täglich ein großes Kreuzworträtsel, unter anderen Umständen hätten die Redakteure ein solches Ansinnen mit Abscheu von sich gewiesen.

Und Sportredakteur sein ist gerade auch nicht die große Wucht so ganz ohne Sport. Dafür wird der Wirtschaftsteil immer wichtiger und erst recht die Ratgeberseiten. Jeder Leser will jetzt wissen, wie er sich richtig verhält, was er tun oder lassen sollte, wo er Hilfe bekommt und wie er vielleicht selbst helfen kann. Und die Lokalausgaben bringen sowieso besonders wichtige Informationen: Welches Geschäft schließt, wann fährt der Bus, wie geht das Leben in meinem Ort weiter.

Ulf Mallek führt als Regionalchef die Lokalredaktionen im Elbland, natürlich macht er das auch von daheim. Er bespricht sich mit den Lokalchefs in Radebeul, Meißen, Riesa und Großenhain, die wiederum mit ihren Lokalredakteuren. Auch sie arbeiten daheim und versuchen, so viele Informationen wie möglich per Telefon zu erhalten.

Ulf Mallek führt als Regionalchef die Lokalredaktionen im Elbland.
Ulf Mallek führt als Regionalchef die Lokalredaktionen im Elbland. © Jürgen Lösel

Aber alles geht nicht auf diese Weise, schon gar nicht können die Fotografen zuhause bleiben. So wichtig diese lokalen Informationen auch sind, seit Freitag wurden jeweils zwei Lokalausgaben zusammengelegt - zur Sicherheit.

Denn Verlagsleiter Denni Klein freut sich zwar, dass bisher alles recht reibungsarm läuft und die SZ gerade mehr Abos gewinnt als sonst, Sächsische.de sogar drei bis vier Mal mehr. Aber ein Krisengewinner ist die Sächsische nicht. Die Anzeigenumsätze sind eingebrochen, das Geschäft von SZ-Reisen geht gegen null, Veranstaltungen mussten abgesagt und Tickets zurückgenommen werden. Diese Verluste sind schon jetzt schmerzhaft.

Besonders treibt die Verlagsverantwortlichen um, dass die Zeitungsproduktion stabil bleibt. Die Druckerei hat deshalb Kontakt aufgenommen zu Druckereien in Chemnitz, Halle und Berlin. Fällt eine aus, helfen die anderen aus. Und die Zeitungszustellung plant auch für den Notfall und bittet alle SZ-Kunden, ihre Mail-Adresse zu senden, damit jeder schnell informiert werden kann. Außerdem kann sich jeder Abonnent jetzt das E-Paper kostenlos freischalten lassen - falls die SZ mal nicht geliefert werden kann.

Denn es ist doch jetzt schon klar: Auf manche Dinge kann man in Krisenzeiten mal eine Weile verzichten. Auf Informationen aber gerade überhaupt nicht.