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So schön warm hier drinnen

„Kinder der Sonne“ am Dresdner Staatsschauspiel verpasst leider die Chance, einen großen Russen zu entzaubern.

Von Johanna Lemke
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Auch die Schauspieler Raiko Küster, Oliver Simon und Karina Plachetka wirken gelegentlich gelangweilt.
Auch die Schauspieler Raiko Küster, Oliver Simon und Karina Plachetka wirken gelegentlich gelangweilt. © Sebastian Hoppe

So ein Handwerker kann schon nerven. Gut, er soll die Lampe reparieren, aber muss er dafür solch einen Lärm machen? Wie lange dauert es bloß, eine Glühbirne reinzuschrauben?! Der Künstler Wagin ist hochgradig genervt, er hat schon mehrfach angesetzt, seine lyrische Zukunftsutopie vorzutragen – vergeblich: Der Handwerker schraubt penetrant an der Lampe herum. Kann der mal endlich verschwinden?

Es ist nicht leicht, wenn man zu den Oberen des sozialen Gefüges gehört und angewiesen ist auf die Arbeit der kleinen Leute. Da gilt es, den eigenen Einfluss zu verteidigen, koste es, was es wolle. Maxim Gorki beschrieb diesen Mechanismus eindrucksvoll in seinem Drama „Kinder der Sonne“ im Jahr 1905, also zu Beginn der russischen Revolution. Ab und zu kommt das Drama auf hiesige Bühnen, um eine vermeintlich abgeschottete Elite zu entlarven. Das Stück scheint wie gemacht für eine Abrechnung mit satten, wohlhabenden und von der realen Welt abgekoppelten Entscheidungsträgern. Am Sonnabend hatte Laura Linnenbaums Inszenierung von „Kinder der Sonne“ am Staatsschauspiel Dresden Premiere.

Es ist Linnenbaums zweite Arbeit für das Theater, 2017 inszenierte sie am Kleinen Haus „Homohalal“, arbeitete sich mit skurriler Überzeichnung und bitterem Humor am Flüchtlingsthema ab und wurde dafür viel gelobt. Nun also die mutige Entscheidung, der 1986 geborenen Nachwuchsregisseurin die große Bühne zu lassen, obendrein mit dem Stoff eines der im Osten traditionell hochverehrten Russen.

Zu viel Vorsicht vor dem Russen

Doch leider muss man nach der Premiere sagen: Linnenbaum ist noch nicht bereit dafür. Knapp drei Stunden lang darf man dabei zusehen, wie sich eine Inszenierung nicht entscheiden kann. Zwischen Humor und Tragik, zwischen Beiläufigkeit und Überzeichnung, zwischen Texttreue und Modernisierung. Man erlebt, wie ein Ensemble bis ans Äußere geht und doch nicht ankommt gegen die Beliebigkeit.

Valentin Baumeister schuf für die Bühne eine große, weiß erleuchtete und sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit drehende Platte. Sie ist das Innere der Macht, das sich gegen das Außen abschottet, und ist überzogen von einem Raster wie ein großgezogenes Rechenpapier. Auf dieses kritzelt der Naturwissenschaftler Protassow unaufhörlich Formeln und Theorien, in der Absicht, einen neuen Menschen zu erschaffen. In seinem Umfeld tummelt sich das typisch russische Geplätscher aus an sich und dem Leben verzweifelnden Figuren: Protassows psychisch lädierte Schwester Lisa wird umworben vom Tierarzt Boris, seine eitle Frau Jelena verdreht dem leichtfüßigen Maler Wagin den Kopf. Mithilfe der Kostüme von David Gonter sollen die Figuren wie in „Homohalal“ karikiert werden: das laszive Kindermädchen trägt eine weißblonde Perücke, der reiche Industrielle einen schleimigen Scheitel und der Tierarzt eine zünftige Junkersweste. Ähnlich grotesk versuchen sie zu spielen.

Doch was in „Homohalal“ ein heikles Thema spielbar machte, wird hier so zögerlich eingesetzt, dass man es auch hätte lassen können. Überzeichnung wechselt sich ab mit ans Heute erinnerender Sprache, die ebenfalls nicht konsequent eingesetzt wird. Falls „Kinder der Sonne“ eine Tür-auf-Tür-zu-Komödie werden sollte, so fehlt dazu definitiv die Geschwindigkeit. Witzchen wie das mit Teetassentürmen hereinstolpernde und wieder verschwindende Dienstmädchen wirken auf der riesigen Bühne deplatziert. Zumal sie in einer Seltenheit auftauchen, dass man kaum von einem Regiekonzept sprechen kann.

Vielleicht hat sich Linnenbaum schlicht nicht getraut, einen großen Russen mit der Schnoddrigkeit zu entzaubern, mit der sie Stücke ansonsten angeht. Vielleicht ist die Dramatik der russischen Revolution dann doch nicht so gut auf das Heute zu übertragen. Jedenfalls plätschern ganze Passagen belanglos daher, die Schauspieler scheinen davon selbst gelangweilt zu sein. Oliver Simon als Protassow kommt mit seiner Figurenzeichnung nicht über den wirren Nerd hinaus. Anna-Katharina Muck spielt Melanija als verzweifelte alte Jungfer, die alles für Protassows Liebe geben würde. Raiko Küster gibt den Maler Wagin ohne Brüche, immerhin sieht man seiner beiläufigen Nonchalance gern zu. Das gilt auch für Philipp Grimm als dem Industriellen Awdejewitsch. Viktor Tremmel als Tierarzt fällt im Grunde gar nicht auf. 

Bodenständiges Kindermädchen

Karina Plachetka entwickelt ihre Jelena immerhin über die Dauer der Inszenierung, Gleiches gilt fürs Dienstmädchen Fima von Fanny Staffa. Schön, dass Helga Werner mal wieder auf der Bühne steht und als Kindermädchen eine bodenständige Komponente in das Geflirre bringt. Völlig aus dem Rahmen indes fällt die stark psychologisierende Darstellung der Lisa von Birte Leest. Sie alle nennen sich „Kinder der Sonne“ in der irren Vorstellung, als solche könnten sie in einer besseren Zukunft strahlen.

Wenn man wenigstens etwas aus diesem Abend mitnehmen möchte, bietet es sich an, bis nach der Pause durchzuhalten. Dann verändert sich die Stimmung auf der Bühne. Schon vorher war die Rede gewesen von der Cholera, die „da draußen“ herrscht. In Form des düsteren Handwerkers war es kurzzeitig in die klinische Reinheit des weißen Kreises eingedrungen, denn seine Frau ist erkrankt. Es beginnt, Asche zu regnen, und die Panik wächst. Die Bühne dreht sich schneller, die Stimmen werden schriller, man muss etwas tun – und fürchtet sich doch so. Endlich kann man ahnen, welche Relevanz das Stück für das Heute hat.

So schnell wie Bilder im Internet kommen und wieder verschwinden, dreht und ändert sich die Bühne, je nach Perspektive. Jelena „opfert“ sich, will der Frau helfen und man versucht kurz, sie daran zu hindern – doch dann ist man froh, das Thema los zu sein. In der gleichen Konsequenz werden die am Bildrand auftauchenden schwarzen Gestalten ignoriert: Kinder, die mit stummem Vorwurf im Blick das Geschehen beobachten. Ohne Programmheft käme man nicht unbedingt darauf, dass es sich hier um eine Anspielung auf die Bewegung Fridays for Future handelt. Das ist dann aber auch egal – endlich wagt die Inszenierung eine konsequente Metapher.

Wieder am: 12., 15. und 24.2. sowie 10.3., je 19.30 Uhr, Staatsschauspiel Dresden. Karten: 0351/4913555