So sehen Politiker den Corona-Protest

Meißen. Selbstverständlich müsse es in einer Demokratie möglich sein zu demonstrieren. Mit diesen Worten hat Meißens Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) die montäglichen Spaziergänge von Meißner Bürgern kommentiert, die am Abend gegen die Auflagen im Zuge der Corona-Krise protestieren. Das vom Markt ausgehende Treffen mit einem anschließenden Zug durch die Innenstadt ist über soziale Netzwerke populär geworden. Ähnliche Zusammenkünfte gibt es in anderen sächsischen Städten.
Er verstehe die Menschen, welche sich Sorgen machen um die vereinsamten Bewohner in Altenpflegeheimen, so der Rathauschef. Die existenziellen Ängste von Angestellten und Selbstständigen könne er nachvollziehen. Viele Unternehmen Händler und Gewerbetreibende blickten in eine unsichere Zukunft. Ganze Branchen wie das städtische Familienbad Wellenspiel hätten nach wie vor keine Perspektive.
Gleichzeitig sei er froh, dass das Gesundheitssystem vor Ort nicht kollabiert ist, so der 57-Jährige. Vielen gehe das Rückführen der strengen Maßnahmen nicht schnell genug. Aber Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme sollten auch in den nächsten Tagen eine große Rolle spielen. Nach seinem Eindruck seien die Meißner in den letzten Wochen sehr vorbildlich unterwegs.
Gespräch auf Augenhöhe suchen
Für den Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes Sven Gläser sind die Demonstrationen in Ordnung, so lange die gesetzlichen Auflagen eingehalten würden. Seine ausführliche Antwort auf die Fragen der Meißner SZ findet sich im Internet.
Er könne jedoch aus eigenem Erleben empfehlen, für den Erfolg im Kleinen vor Ort mit den Parteien, Stadträten, Kreisräten sowie Abgeordneten im Landtag und Bundestag mit konkreten Ideen das sachliche Gespräch auf Augenhöhe zu suchen. Auch der CDU-Stadtverband Meißen sei dazu mit seinen Möglichkeiten bereit.
Gläser bringt das Beispiel des Weinladens auf der Elbstraße. Dieser habe an die Christdemokraten den Wunsch herangetragen, die Elbstraße für den Autoverkehr stundenweise zu schließen, um die Gastronomie nach draußen verlegen zu können und somit den Gästen den ungestörten Genuss zu ermöglichen. Anschließend seien auch andere Wirte an der Straße dazu befragt worden. Jetzt werde der Vorschlag im Stadtrat diskutiert.
Der CDU-Stadtverbandschef sieht den Umgang mit Corona als einen "Prozess des ständigen Hinzulernens". Gläser: "Wir können nie sagen: Jetzt wissen wir alles." Den Meißnern sollte für ihr bis heute sehr kooperatives Verhalten gedankt werden. Es gelte, diese Vernunft und dieses Augenmaß beizubehalten. Situationen wie diese seien stets von Unsicherheit gekennzeichnet. Er bedauere sehr, dass populistische und extremistische Trittbrettfahrer eine notwendigerweise schrittweise und zeitversetzte Herangehensweise zur Diffamierung der Entscheider und Mandatsträger für politische Geländegewinne zu nutzen versuchten.
Protest sollte breit getragen sein
Als "erforderlich und notwendig" bezeichnet der Vorsitzende der Großfraktion im Stadtrat Martin Bahrmann die sachliche Kritik an bestimmten Maßnahmen der Landes- und Bundesregierung. Hier würden die Liberalen in Teilen zustimmen. Auch die Spaziergänge könnten, vorausgesetzt die Regeln hierfür werden eingehalten, ein Ausdruck dieses Protestes sein. Idealerweise sollte dieser aber nicht nur von einzelnen Gruppen instrumentalisiert werden, sondern breit getragen sein.
Unverantwortlich ist in den Augen des FDP-Mannes das Nichteinhalten der Abstandsregelungen und Nichttragen von Mundschutz, wie man es in Meißen beobachten konnte. Die verbalen, aber auch körperlichen Angriffe auf Polizeibeamte, wie zum Beispiel in Pirna geschehen, verurteile er aufs Schärfste. Das Recht auf Demonstrationsfreiheit bestehe weiterhin.

Ganz anders als bei Raschke, Gläser und Bahrmann fällt die Einschätzung des Chefs der Meißner Linken, Tilo Hellmann aus. Er könne, wenn er sich die Truppen ansehe, die aktuell in Deutschland und in Meißen spazierten, nur den Kopf schütteln. "Hier treffen sich alte und neue Nazis, mit Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und Esoterikern", schreibt der Kommunalpolitiker auf SZ-Anfrage. Wer berechtigterweise bestimmte Maßnahmen kritisch hinterfrage, sollte deshalb ernsthaft überlegen, sich mit solchen Menschen in eine Reihe zu stellen.
Er sei der Auffassung, dass die getroffenen Schritte mit Blick auf die deutschen Zahlen so falsch nicht gewesen sein können. Wütend mache ihn, wenn er sehe, "wie die AfD erneut den Rattenfänger spiele und abermals die Gesellschaft aufmische." Diesmal heiße der Feind eben nicht Asylsuchende, sondern Corona-Maßnahmen, so Hellmann. Darüber hinaus gebe es für ihn keinen Grund, den Spaziergängen zu große Bedeutung inhaltlicher Natur zuzumessen. Immerhin handele es sich glücklicherweise um eine wirklich kleine Gruppe. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sei wachen Geistes und habe Verständnis für die Auflagen.
Bereits vergangene Woche hatte sich der Meißner SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter zu dem Thema geäußert. Er sehe Gemeinsamkeiten zwischen den Corona-Protesten und der Pegida-Bewegung, so der DDR-Bürgerrechtler. "Wir leben in einer Demokratie, in der jeder ohne Angst für seine Meinung auf die Straße gehen kann", sagte Richter gegenüber Sächsische.de. "Zu demonstrieren, ist jedermanns gutes Recht. Das muss man verteidigen. Dennoch: wer auf die Straße geht, hat nicht automatisch recht." Richters Verständnis hört auf, wenn alle Andersdenkenden für dumm oder bösartig erklärt werden.
Zum Thema Coronavirus im Landkreis Meißen berichten wir laufend aktuell in unserem Newsblog.