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So verabschiedet sich Dresden von Peter Schreier

Mit Musik und bewegenden Worten feiern der Kreuzchor und Tausende Verehrer den verstorbenen Star. Der bleibe ein Lehrer für die Kruzianer, so Kreuzkantor Kreile.

Von Bernd Klempnow
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In der Dresdner Kreuzkirche haben Fans, Weggefährten und der Kreuzchor Abschied von dem Startenor Peter Schreier genommen.
In der Dresdner Kreuzkirche haben Fans, Weggefährten und der Kreuzchor Abschied von dem Startenor Peter Schreier genommen. © Oliver Killig

Wie tief muss ein Künstler und Humanist wie Peter Schreier die Menschen berührt haben, dass sie ihn derart feiern? Zumindest war am Mittwochnachmittag die Dresdner Kreuzkirche bereits lange vor Beginn des Trauergottesdienstes für den am 1. Weihnachtsfeiertag verstorbenen Startenor bis auf den letzten Platz gefüllt. 

Gut dreitausend Verehrer, Kollegen und Freunde, darunter Prominenz aus Politik und Kultur, aus aller Welt Angereiste, wollten Abschied nehmen. Sie wollten der Familie Schreier Trost spenden und selbst gewinnen. Die Kreuzkirche und der Kreuzchor hatten zu diesem letzten Gruß an den „Verkünder des Evangeliums in den Bach-Passionen und großen Musiker“ eingeladen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer war dem gefolgt. Die Stadt Dresden, die es versäumt hatte, Schreier die Ehrenbürgerschaft anzutragen, schickte die Vertretung des Oberbürgermeisters, der auf Dienstreise ist. Immerhin: Sogar aus Japan waren Anfragen gekommen, dem Toten mit einem Kranz zu danken.

Mit starkem Geläut begann gegen 16 Uhr der Gottesdienst. Ein Porträt des 84-jährig Verstorbenen und Blumen standen neben dem Sarg vor dem Altar. Der Kreuzchor, dem Schreier von 1945 bis 1954 angehört und mit dem er später noch oft musiziert hatte, sang von der Orgelempore die Schütz-Motette „Selig sind die Toten. Sie ruhen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach“.

Ja, nur zu gern hätten sicher viele im Kirchenschiff die unverwechselbare, schöne und so klar artikulierende Stimme des Künstlers noch einmal vernommen. Doch im Gegensatz zum Abschieds-Gottesdienst von Schreier-Kollege und -Freund Theo Adam vor genau einem Jahr, bei dem noch einmal große Arien des Bassbaritons erklungen waren, wurde keine Aufnahme des Tenors eingespielt. 

In einem bewegenden Trauergottesdienst würdigte Kreuzkantor Roderich Kreile am Mittwoch das Leben des unlängst 84-jährig Verstorbenen, dessen einmalige internationale Karriere in der Elbestadt begonnen hatte.
In einem bewegenden Trauergottesdienst würdigte Kreuzkantor Roderich Kreile am Mittwoch das Leben des unlängst 84-jährig Verstorbenen, dessen einmalige internationale Karriere in der Elbestadt begonnen hatte. © Oliver Killig

Liturgie und Predigt zitierten die christlichen Worte aus den Partien von Schreier – vereinnahmten ihn einseitig, was seiner Lebensleistung eben auch als Opern-Sänger und Lied-Interpret nicht gerecht wurde. So war es am Kreuzchor, die geliebte Musik des Verehrten in den Raum zu tragen. Und das taten die Kruzianer von der Orgelempore aus und am Schluss am Sarg, bevor sie diesem aus der Kirche vorangingen. 17.22 Uhr läuteten ein letztes Mal die Glocken der Kreuzkirche für jenen Mann, wie es sein Lieblingspfarrer von der Loschwitzer Kirche und Ex-Kruzianer Markus Deckert formulierte, dessen Leben wie wohl kaum ein anderes „zur Identität von Chor, Kirche und Stadt gehört“.

Starke, aber treffende Worte: Seinen Lebenslauf in äußerster Kürze: Geboren am 29. Juli 1935 in Meißen als Sohn eines Kantors und Lehrers war er der erste Kruzianer nach dem Krieg, der von Kantor Rudolf Mauersberger zum Ausnahmetenor geformt wurde. Studium in den 50er-Jahren in Leipzig und Dresden, dann 1957 Debüt an der Staatsoper, ab 1957 Ensemblemitglied in Dresden, ab 1963 Mitglied der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Gastspiele führten ihn an alle großen Opernhäuser der Welt. Ab 1967 war er 25 Jahre umjubelter Star bei den Salzburger Festspielen, zugleich begann seine unvergleichliche Karriere als Lied- und Oratoriensänger.

1970 begann er zu dirigieren, was ihm gerade bei den Passionen als dirigierender Evangelist-Interpret eine beeindruckende Intensität ermöglichte. Auf der Höhe seiner Kunst verabschiedet er sich erst im Jahr 2000 von der Oper, erst 2005 vom Gesang. Sein letztes Dirigat – die geliebte Johannes-Passion von Bach – leistete er 2018, gesundheitlich angeschlagen, aber geistig vital.

Bescheiden und stets ein Humanist: Peter Schreier – hier 2011, als ihm der Internationale Mendelssohn-Preis verliehen wurde.
Bescheiden und stets ein Humanist: Peter Schreier – hier 2011, als ihm der Internationale Mendelssohn-Preis verliehen wurde. © dpa

Berührend wurde der Trauergottesdienst, als Kreuzkantor Roderich Kreile ihn würdigte: Als Jugendlicher habe er Schreier erlebt, doch zur Begegnung kam es erst spät. „Nach meiner Berufung zum Kreuzkantor meldete er sich zu einem Gespräch an; er wollte sich wohl einen Eindruck vom ,Neuen‘ machen. Kurz danach musizierten wir in der Kreuzkirche: erst die h-Moll-Messe, dann die Matthäus-Passion. Diese war ein Urerlebnis für mich, da ich ganz von der Kraft seiner Interpretation ergriffen war und bei den Übergängen zu den Turba-Chören meine Hände von seinen Intentionen geführt wurden.“

Was bleibt von Peter Schreier? Jeder wird eigene Momente der Erinnerungen an ein Konzert oder eine Begegnung haben oder eine Lieblingsplatte, die ihm teuer ist. Kantor Kreile fügte noch etwas Bleibendes hinzu: Peter Schreier werde weiterwirken, denn er sei geeignet, Vorbild für junge Menschen zu sein. „Wir leben in einer Zeit, die nicht reich ist an Personen, die in einem solchen Sinne als Leitbilder dienen können. Denn er blieb zutiefst menschlich, seiner Familie, seiner Heimat verbunden. Keine abgehobene Größe; Größe durch Erdung, Gründung im Glauben.“

Zeitlebens blieb Peter Schreier Dresden treu.  „Ein wahrhaft Großer ist von uns gegangen“, so  Kreuzkantor Roderich Kreile.
Zeitlebens blieb Peter Schreier Dresden treu.  „Ein wahrhaft Großer ist von uns gegangen“, so Kreuzkantor Roderich Kreile. © Oliver Killig

Und dann wandte sich Kreile an die gut 100 Kruzianer im Raum: „Ihr Lieben, lernt, in Peter Schreier einen, in einem sehr umfassenden Sinne, großen Lehrer zu sehen, der weisen kann, was zu einem gelingenden Leben wichtig ist. Hört nicht auf Kleingeister, folgt großen Zielen, entfaltet die Gaben, die ihr in euch tragt.“