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So viel Mist wie nirgends in Sachsen

Bei Großenhain wurde die höchste Nitratbelastung im Freistaat gemessen. Die Bauern fühlen sich als Buhmänner.

Von Jörg Richter
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Ein Traktor zieht einen Miststreuer über ein Feld, um es zu düngen. In großen Teilen des Landkreises Meißen ist die Nitratbelastung des Grundwassers zu hoch.
Ein Traktor zieht einen Miststreuer über ein Feld, um es zu düngen. In großen Teilen des Landkreises Meißen ist die Nitratbelastung des Grundwassers zu hoch. © Michael Reichel/dpa

Landkreis. Auf vielen Äckern der Großenhainer Pflege ist die Ernte eingebracht. Die Landwirte beginnen nach und nach mit der Vorbereitung für die Aussaat im kommenden Jahr. Dazu gehört auch das Düngen mit Gülle. Die enthält bekanntermaßen Nitrat, das für das Wachstum der Pflanzen wichtig ist. 

Doch wenn zu viel gedüngt wird, sammeln sich Rückstände in Gewässern und im Grundwasser an. Gelangt es auf Umwege in den menschlichen Körper, kann es in giftiges Nitrit und in krebserzeugende Nitrosamine umgewandelt werden. Um dieses Risiko gering zu halten, gilt die gesetzliche Vorgabe, dass maximal 50 Milligramm Nitrat in einem Liter Grundwasser enthalten sein sollen.

Doch vielerorts wird in Deutschland dieser Grenzwert um ein Vielfaches überschritten. Am stärksten im rheinland-pfälzischen Gönnheim, wo mit 322 Milligramm pro Liter die höchste Nitratbelastung im Grundwasser gemessen wurde. 

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage mehrerer Abgeordneter der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor. Darin werden die 50 deutschen Grundwasser-Messstellen mit der höchsten Nitratbelastung aufgelistet. Zugrunde gelegt sind die Ergebnisse aus dem Jahr 2017 in bundesweit 1214 Messstellen der Europäischen Umweltagentur (EUA). Bereits auf Platz 27 wird Großenhain genannt.

An der EUA-Messstelle 46466049, die sich rund 800 Meter westlich von Görzig befindet, wurden vor zwei Jahren 150 mg/l Nitrat gemessen. Also das Dreifache des Grenzwertes! Der Großenhainer Ortsteil war zu diesem Zeitpunkt Spitzenreiter in Sachsen. Nirgends sonst im Freistaat wurde eine höhere Nitratbelastung registriert.

„Der Raum Großenhain - Strehla - Riesa - Lommatzsch - Nossen - Meißen - Radeburg - Ebersbach zählt zu den am höchsten nitratbelasteten Gebieten auf dem Territorium des Freistaates Sachsen“, sagt Karin Bernhardt, die Pressesprecherin des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie. 

Dieses Gebiet ist das größte seiner Art in Sachsen und reicht im Westen bis nach Oschatz. Die östliche Grenze dieses nitratbelasteten Gebietes verläuft in etwa von Strauch über Adelsdorf, Folbern, Kalkreuth und Ebersbach bis Moritzburg und Radebeul. Auch bei Eilenburg, Grimma, Limbach-Oberfrohna und Waldheim gibt es Landschaften, in denen zu hohe Nitratwerte gemessen wurden. Aber sie sind bei Weitem nicht so groß wie das hiesige Gebiet.

In den rötlich hervorgehobenen Gebieten ist die Nitratkonzentration im Grundwasser größer als der Grenzwert von 50 mg/l.
In den rötlich hervorgehobenen Gebieten ist die Nitratkonzentration im Grundwasser größer als der Grenzwert von 50 mg/l. © SZ-Grafik

Hier wurden laut der aktuellen Auswertung von 2018 die höchsten Nitratbelastungen in Sachsen registriert. Görzig ist bei 150 mg/l geblieben. Noch schlechtere Werte wurden bei Großenhain, 200 Meter südlich des Kleinen Spitalteichs gemessen: 190 mg/l. Genauso viel Nitrat ist auch im Grundwasser von Riesa-Poppitz und etwas weniger (180 mg/l) bei Prausitz (Gemeinde Hirschstein). 

Doch das meiste Nitrat im Grundwasser fand sich 2018 in Arzberg-Blumberg (bei Torgau). Mit 200 mg/l ist das Sachsens trauriger Spitzenwert. Diese Zahlen gehen aus der interaktiven Karte des Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hervor, die jeder im Internet einsehen kann.

Insgesamt gibt es in Sachsen 61 EUA-Messstellen. Davon liegen fünf im Landkreis Meißen. Hier gibt es 93 staatliche Messstellen, die die Grundwasserbeschaffenheit untersuchen, aber nicht in der EUA-Statistik auftauchen. Sie werden jedes Jahr einmal kontrolliert. 

Gemäß der aktuellen Auswertung von 2018 wurde an 42 der 93 Messstellen des Landkreises Meißen der Nitratgrenzwert von 50 mg/l überschritten. An 13 Stellen um mehr als das Doppelte. Daran wird sich wohl so schnell nichts ändern. Die Werte an 55 Messstellen sind stabil. An 33 Messstellen wurde ein fallender Trend ermittelt, so die Landesamtssprecherin. Aber an fünf Messstellen sei die Nitratkonzentration sogar gestiegen.

Die EU hatte Ende Juli wegen der anhaltenden Nitratbelastung im Grundwasser eine weitere Klage gegen Deutschland angedroht. Bis Ende September sollen Bund und Länder strengere Düngeregeln einführen. Gelingt das nicht, könnte Deutschland vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) verurteilt werden. Es drohen Strafzahlungen von bis zu 850.000 Euro am Tag!

Die Landwirte fühlen sich an den Pranger gestellt. „Wir wehren uns, wieder mal für alles verantwortlich gemacht zu werden“, sagt Gerhard Förster, der Vorsitzende des Regionalbauernverbandes Elbe/Röder. „Man ist immer schnell geneigt, mit dem Finger auf die Landwirtschaft zu zeigen.“ Dabei würde streng nach dem Bedarf der Pflanzen gedüngt und nicht mehr. Heutzutage kommen dabei auf den Traktoren Computer zum Einsatz. Sie errechnen, an welchen Stellen eines Ackers mehr oder weniger Gülle verteilt werden muss.

Förster bezweifelt, dass schnelle Maßnahmen der Bundesregierung wegen der angedrohten Strafen aus Brüssel auch zu einer schnellen Verbesserung der Nitratwerte im Grundwasser führen. „Da braucht man mindestens fünf Jahre, bis sich ein Effekt einstellt“, schätzt er.

Der Chef der Agrargenossenschaft Kreinitz mahnt generell eine Überprüfung des Messstellensystems in Sachsen an. Zwar würden Nitratkonzentrationen ermittelt, aber nicht die tatsächlichen Ursachen. Er glaubt, dass auch überalterte und undichte Abwasserkanäle für die schlechten Werte im Grundwasser verantwortlich sind. „Am Viehbestand liegt es auf keinen Fall“, sagt Förster. In der Region gebe es gar nicht so viele Rinder und Schweine, die übermäßig Gülle erzeugen. Das sehe in anderen Bundesländern, allen voran Niedersachsen, ganz anders aus.

Zudem sei Sachsen bei der Erstellung eines Messstellensystems nach vorn geprescht und andere Bundesländer wie Brandenburg noch weit hinterher. „Es ist nur auffällig, dass hinter der Landesgrenze die Nitratbelastung abrupt aufhört“, so Förster. So lange es kein einheitliches Messsystem gebe, würden sächsische Bauern benachteiligt.

Denn sollte sich die EU durchsetzen, müssen Landwirte der Großenhainer und Lommatzscher Pflege ab nächstem Jahr 20 Prozent unter dem Nitratbedarf der Pflanzen düngen. Die Folge wären niedrigere Erträge. Förster: „Das wäre eine massive Beschränkung für hiesige Betriebe.“