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„So wie Du will ich nicht leben“

Valerie Holsboer, Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit, spricht im SZ-Interview über Frustrationstoleranz als Erfolgsfaktor für Führungskräfte und die Vereinbarkeit von Job und Familie. 

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Valerie Holsboer (42)
Valerie Holsboer (42) © Ronald Bonß

Frau Holsboer, Männern wird nachgesagt, dass sie ihre Karriere strategisch planen, Frauen dagegen ihre Studienfächer nach der Neigung wählen. Wie war es bei Ihnen, haben Sie ihre Karriere strategisch geplant?

Ich falle voll unter das Klischee. Ich habe immer Dinge gemacht, die ich inhaltlich und vom Prozess her gern gestalten wollte. Mir sind Menschen, die ihre Karriere durchplanen, etwas suspekt. Schöner ist es, wenn man von der Sache her kommt, feststellt, dass man diese Sache nicht allein verfolgen kann und sich deshalb Unterstützung holt und so weiter kommt. Ich zucke immer etwas zusammen, wenn vor allem junge Männer sagen: Ich will Führungskraft werden. Denn eigentlich will man doch etwas erreichen. Und dazu braucht man Mitstreiter. Und so wird man Führungskraft.

Was zeichnet für Sie eine gute Führungskraft aus?

Gerade in Zeiten der Digitalisierung und unglaublich komplexen Sachverhalten kommt es darauf an, Menschen aus unterschiedlichen Fachrichtungen an einen Tisch bringen zu können, Menschen mitnehmen zu können und in der Interaktion ein Vertrauen zu erzeugen, dass alle mitgehen. Wenn sie als Chef oder Chefin sagen können: „Ich weiß selbst noch nicht genau, wo wir in einem Jahr stehen, aber vertraut mir, das ist jetzt die richtige Richtung“ und das wird akzeptiert.

Nach zwei Jahren im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit – was ist Ihre wichtigste Lehre, wie man nicht nur in einen Vorstand kommt, sondern sich dort auch hält?

Ganz entscheidend ist Widerstandsfähigkeit und Frustrationstoleranz. Verantwortung ist toll, aber man soll nicht die Erwartung hegen, dass alle kooperativ sind und immer auf Sachargumente anspringen. Es gibt unterschiedliche Quellen, aus denen Menschen ihre Festigkeit ziehen – die Familie oder ein Hobby. Aber man muss schon sehr in sich ruhen und stabil sein, um nicht sofort bei jeder Gegenwehr irritiert zu sein oder sich den Mut abkaufen zu lassen. Das wird von Frauen oft feindseliger wahrgenommen als von Männern. Die Spielregeln, die Männer an der Spitze ritualisiert haben, gehören nicht typischerweise ins Repertoire von Frauen. Aber auch Frauen untereinander können furchtbar sein.

Frauen sollten also einfach etwas gelassener sein?

Wir bringen viel Herz und Überzeugung mit ein. Dabei muss trotzdem eine Grunddistanz verbleiben, sonst sind wir zu verwundbar in dem, was wir machen. Unverkrampftheit, Gelassenheit und nicht Mann spielen zu wollen – das ist wichtig.

In einem Interview haben Sie erzählt, dass es Ihnen schon einen Stich versetzt hat, als ihre Tochter auf die Frage, was sie werden will, gesagt hat, nur Mutter?

Es war noch viel schlimmer. Ich habe – pädagogisch auf der Nulllinie – zu ihr gesagt, dass sie lernen soll, damit etwas aus ihr wird. Und sie hat gekontert, so wie du will ich mal eh nicht leben. Ich will nur Mama sein. Es war eine K.O.-Erklärung auf das, was ich ihr vorgelebt habe.

Wie haben Sie da reagiert? Haben Sie etwas an ihrem Arbeitsalltag verändert?

Nein, nicht am Arbeitsalltag. Aber ich habe meine Haltung und mein Auftreten zu Hause überprüft. Da habe ich gemerkt, dass ich oft nach Hause gekommen bin und erst mal geklagt habe. Das habe ich abgestellt. Meine Tochter und ich erzählen uns jetzt vor dem Schlafengehen drei Dinge, die toll am Tag waren. Das mussten wir richtig üben, den Blick zu schärfen für die schönen Dinge. Es hat gewirkt. Inzwischen steht sie dem Berufsleben wieder etwas geneigter gegenüber.

Gerade diese Zerrissenheit zwischen Familie und Karriere schreckt viele Frauen ab. Wie kann die Vereinbarkeit verbessert werden und wo kann auch die Bundesagentur für Arbeit helfen?

Ein Berufsleben, nicht nur in der Chefetage, ist einfach gut für die eigene Unabhängigkeit. Das lebt man den Kindern vor. Oft ist es so, je höher sie die Stufen gehen, desto ungewöhnlicher werden die Arbeitszeiten. Die Kunst ist es, das mit Kinderbetreuung finanziell und organisatorisch zu lösen. Ich hatte den Vorteil, dass ich schon in Führung war, als meine Tochter kam. Damit verfügte ich über entsprechende finanzielle Möglichkeiten für die Kinderbetreuung, um arbeiten zu können. Es wäre geheuchelt, wenn ich nicht zugeben würde, dass eine solche Führungsposition auch ins Geld geht. Es ist unehrlich zu sagen, die Frau muss nur wollen, dann klappt das schon. Es hängt auch viel von den Umständen und der Einkommenssituation ab.

Wird es in der modernen digitalen Arbeitswelt leichter werden, solche Positionen in Teilzeit oder in Homeoffice auszufüllen?

Teilzeit und Führung beobachte ich mit einer hohen Ambivalenz. Da, wo Abteilungsgrößen oder Aufgabenfelder einfach halbiert oder verkleinert werden können, kann das funktionieren. Ansonsten ist Führen in Teilzeit schwer. Ob die Digitalisierung das für Frauen löst, bezweifle ich. Wichtiger ist Flexibilität. Erstaunlicherweise hilft es, wenn Männer mal was machen. Frauen verkneifen sich jede Erklärung, wenn sie früher aus einem Termin müssen, weil der Kindergarten schließt. Wir sind darauf trainiert, sehr sachlich damit umzugehen. Aber wenn ein Mann in einer Gruppe sagt, ich muss jetzt gehen, um mein Kind vom Sport abzuholen, bricht die Gruppe nahezu in Applaus aus und bejubelt ihn als modernen Familienvater. Das ist alles noch nicht ganz ehrlich. Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine Kultur von Teilzeit-Vorständen haben werden.

Aber ist es nicht richtig, zu thematisieren, wenn man Kinder hat?

Ich war da anfangs zurückhaltend und weiß auch nicht, wie mein Weg verlaufen wäre, wenn ich damit sehr offensiv umgegangen wäre. Seit ich noch mehr Einfluss nehmen kann, spreche ich bewusst Kollegen und Kolleginnen an, die Kinder haben, dass sie nicht wie auf Kohlen in Sitzungen sitzen sollen, wenn sie weg müssen. Wenn wir ein Thema haben, frage ich, bekommen wir das in dieser Zeit hin? Und die Frage ist ehrlich gemeint, das wissen meine Mitarbeiter auch.

In Sachsen ist nicht nur die Quote der Chefinnen hoch, sondern auch der Alleinerziehenden. Die Debatte um Führungspositionen wird daher oft als Luxussorge gesehen. Welche Angebote der BA helfen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erleichtern?

In jedem Jobcenter gibt es eine Beauftragte oder Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt. Wir arbeiten sehr in Netzwerken und denken die Themen Kinderbetreuung oder Infrastruktur für Pflege von Angehörigen gleich mit. Es geht nicht nur um Kinder, sondern zunehmend auch um pflegebedürftige Familienangehörige. Ich glaube, viele Frauen wissen gar nicht, was wir alles anzubieten haben. Wir nennen das den familienzentrierten Ansatz – der sich nicht nur an Alleinerziehende richtet, sondern auch an Bedarfsgemeinschaften, in denen Mutter und Vater nicht arbeiten. Unser Interesse ist es, gerade diese Eltern wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren, denn wenn Kinder Arbeit im Alltag nicht als etwas Normales wahrnehmen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch wieder in den Leistungsbezug kommen, sehr groß. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel investiert in Alleinerziehende und Bedarfsgemeinschaften. Bei den Alleinerziehenden wirkt das auch.

Können Sie das mit Zahlen belegen?

Ja. Beispielsweise gibt es in Sachsen aktuell 10.400 Alleinerziehende, die arbeitslos gemeldet sind. Seit 2010 hat sich die Arbeitslosigkeit der Alleinerziehenden mehr als halbiert. Erfreulich ist auch, dass immer weniger Familien mit Kindern auf Geld vom Jobcenter angewiesen sind. So bekommen aktuell 47.600 Familien mit Kindern Grundsicherungsleistungen, 36 Prozent weniger als 2010.

Gibt es konkrete Instrumente, mit denen sie Arbeitssuchenden bei der Vereinbarkeit Familie und Beruf helfen können?

Ein Instrument ist die sogenannte Teilzeitausbildung. Es wurde extra geschaffen für Frauen, die früh Mutter geworden sind und noch keine Ausbildung hatten. Das Angebot ist wenig bekannt, obwohl es schon seit fast 14 Jahren existiert. Wichtig ist es, junge Frauen zu überzeugen: Macht eine Ausbildung für euch, um finanziell unabhängig zu sein. Ob sie dann ausschließlich zu Hause in der Mutterrolle leben wollen, ist ihnen überlassen. Wir werben: lernt einmal etwas Ordentliches, dann könnt ihr immer wieder einsteigen.

Wie nehmen denn die Arbeitgeber dieses Instrument an. Es wird immer Flexibilität verlangt, aber meistens von Arbeitnehmern. Wie flexibel müssen die Arbeitgeber werden?

Fakt ist, der deutsche Arbeitsmarkt ist heute ein Arbeitnehmermarkt. Wir können die Stellen und Ausbildungsplätze zum Teil nicht mehr besetzen. Das verlangt von den Arbeitgebern, dass sie sich bei Arbeitsbedingungen so attraktiv wie möglich machen. Für manche ist es eine ungewohnte Rolle, dass der Arbeitgeber sich heute bewerben muss bei Kandidaten. Not macht aber auch tolerant. Jeder sollte den Blick öffnen für Kandidaten und Kandidatinnen, die nicht auf Anhieb Traumbewerber sind. Da hilft auch die BA mit Weiterbildungsangeboten, aus ihnen doch noch tolle Beschäftigte zu machen. Die Systemgastronomie, für die ich früher gearbeitet habe, hat schon früh gelernt, dass sie etwas tun muss, um Mitarbeiter zu gewinnen.

Wie sieht die BA ihre Rolle bei der Qualifizierung der Arbeitnehmer in Sachsen für das digitale Zeitalter?

Wir werden künftig noch viel stärker als bisher mit Arbeitgebern und ihren Beschäftigten arbeiten und uns nicht nur um die Vermittlung von Arbeitslosen bemühen. Erstmals seit 1. Januar 2019 haben wir die Möglichkeit, - unabhängig von Betriebsgröße, Ausbildung und Alter -, Arbeitgeber bei der Weiterqualifizierung ihrer Beschäftigten finanziell zu fördern. Das gab es bisher nur als Nischenprodukt für Ungelernte und Kleinbetriebe. In unserem Haushalt sind 1,1 Milliarden Euro für die Qualifizierung der Beschäftigten eingestellt. Im Jahr 2019 gibt es keine Maßnahme, die wir nicht finanzieren können.

Das Gespräch führte Nora Miethke