So will Kroatien die Urlaubssaison retten

Von SZ-Korrespondent Thomas Roser
Weit schweift der Blick von den grünen Hängen der Kvarner Bucht über das glitzernde Meer. Unterhalb der menschenleeren Franz-Joseph-Promenade plätschern sanft die Wellen gegen die Felsen. Helles Vogelzwitschern ertönt in den Pinienkronen und Palmenwedeln, die sich über den Uferpfad wölben. Das Frühjahr sei in Opatija immer wunderschön, aber dieses Jahr ohne Gäste sehr seltsam, sagt der Hotelmanager Radovan Lazic: „Die Stornierungen, der finanzielle Druck und die Ungewissheit, was kommt: Das beunruhigt die Leute.“
40 Jahre ist der drahtige Mann mit dem nach hinten gekämmten Haar bereits im Hotel Adriatic beschäftigt. Doch geschlossen hat der Verpflegungschef das 650 Betten zählende Hotel selbst zu Zeiten des Kroatienkriegs in den 90er-Jahren nie erlebt: „Selbst damals hatten wir immer Gäste: Für unser Hotel ist diese Krise ein größeres Problem als der Krieg.“
Von Klaviermusik unterlegt segelt eine Möwe über die leeren Cafe-Terassen und die altehrwürdigen Hotelpaläste des mondänen kroatischen Seebads. „Träumen Sie heute und besuchen Sie Opatija morgen“, lautet die Corona-Botschaft eines Werbefilms. Doch vor allem die Bewohner des Kurorts selbst fiebern der Rückkehr der Touristen entgegen: Deren Zahl ist im April in Kroatien um 99 Prozent geschrumpft.
Noch verlieren sich nur wenige Einheimische auf den erst seit einer Woche wieder geöffneten Café-Terrassen. Doch während sich bei den Hoteliers am italienischen Westufer der Adria zunehmend Verzweiflung breitmacht, sehen ihre kroatischen Kollegen an der Ostküste zumindest einen Hoffnungsschimmer. Das benachbarte Slowenien hat seine Grenzen seit Freitag für alle EU-Bürger geöffnet. Seit vergangener Woche sind auch Kroatiens Grenzen zumindest für ausländische Ferienhaus- und Jachtbesitzer wieder etwas durchlässiger geworden. „Wann kommen die Slowenen?“, titelt ungeduldig die Zeitung Glas Istre in Pula: „Alles ist bereit, nur die Gäste fehlen.“
Abhängig vom Tourismus
Kein Land in der EU ist vom Fremdenverkehr so abhängig wie Kroatien: Ein Viertel des Sozialprodukts in dem vier Millionen Einwohner zählenden Adria-Staat wird mit dem Tourismus erwirtschaftet. Am 15. Juni werde das Hotel Adriatic nach drei Monaten wieder seine Pforten öffnen, berichtet erleichtert Radovan Lazic. Der Tourismus habe für Kroatien einfach eine „ungeheure Bedeutung“: „Natürlich wird es Verluste geben. Aber wir müssen von vorne beginnen und hoffen, zumindest einen Teil der Einbrüche wieder wettmachen zu können.“
Eine Digitaluhr zählt an dem stilisierten Kran am Adria-Platz in Rijeka die noch verbleibenden Stunden als Europas Kulturhauptstadt ab. Hell sprühten von den angeflexten Stahlträgern die Funken, hart schrammten im Hafen die Gitarren, als das Kulturspektakel am 1. Februar mit einer spektakulären Industrieoper eröffnet wurde. Doch bereits drei Monate später ist die Aufbruchsstimmung in der angeschlagenen Hafenstadt verflogen: In der Virus-Krise ist die Hoffnung geplatzt, dass das Jahr zum Beschleuniger der Transformation in eine Kultur-, Tourismus- und Dienstleistungsmetropole werden könnte.

Nicht nur wegen des Versammlungsverbots abgesagte Konzerte und Festivals sind dem Corona-Notstand zum Opfer gefallen. Wegen der Einnahmeausfälle und milliardenschwerer Hilfspakete für die Wirtschaft sah man sich gezwungen, die Mittel für das Kulturjahr radikal zu kürzen. 59 Mitarbeiter des Organisationskomitees sind im April entlassen worden. In Regie der Kommune soll nun ein stark abgespecktes Rumpfprogramm über die Bühne gebracht werden. Nicht die Stadt, sondern das Virus habe die Realisierung der ursprünglichen Planung gestoppt, verteidigt sich Bürgermeister Vojko Obersnel gegen den Vorwurf der kulturellen Kahlschlagpolitik.
„Nein, die Leute sind nicht verzweifelt“, versichert der sehnige Journalist Voljen Koric: „Alle glauben oder hoffen, dass zumindest noch etwas von der Saison zu retten ist.“ In der Region habe es seit über zwei Wochen keine neue Infizierten mehr gegeben: „Im Prinzip ist hier die Krise gelöst. Doch wann die Touristen wieder kommen, hängt auch von der Lage bei den Nachbarn und der Öffnung der Grenzen ab.“
Nur Kutter, keine Yacht
Geplatzte Aufträge, fallende Immobilienpreise, misstrauische Banken – leicht sei die Lage für Selbstständige keineswegs, berichtet Koric. Auch sein kleines Einmannpressebüro sei von der Krise hart getroffen worden: „Die Konzerte und Veranstaltungen, für die ich die Pressearbeit machen sollte, wurden wegen des Versammlungsverbots alle abgesagt.“
Er habe sich in den Wochen der Virus-Krise eben um die Erdbeer- und Tomatenfelder seiner Eltern im nahen Lovran gekümmert, erzählt Voljen. Jeder müsse sich nun eben überlegen, wie er sich an die neue Situation anpasse: „Das, was wir gewöhnt waren und mit dem wir gerechnet haben, ist nicht mehr. Aber es herrscht hier keine Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit. Ob es noch dazu kommt, wird man sehen.“

Ein leichter Wind streicht über die Palmwedel an der Riva von Komiza. Jachten oder Ausflugsboote sind an der Mole keine vertäut: Nur einige Kutter schaukeln in dem kleinen Hafen des beschaulichen Fischerorts auf der Insel Vis. Zwei Monate lang sei die Insel während des Ausnahmezustands von der Außenwelt völlig abgeschnitten gewesen, erzählt der braun gebrannte Zimmervermittler Miroslav Ninkovic: „Wir hatten auf Vis bisher keinen Fall einer Virusinfektion. Denn niemand durfte auf die Insel kommen. Und man konnte sie nur in dringenden Fällen mit Sondergenehmigung verlassen.“
Die Cafés und Läden in dem 1.200-Seelenort sind wieder geöffnet, allerdings noch keine Touristen nach Vis gelangt. Alle Reservierungen für die Vorsaison seien storniert worden, so Miroslav: „Aber die meisten Gäste halten ihre Reservierungen für Juli und August aufrecht – und warten ab, was passiert.“ Außer der Hoffnung auf die Ankunft der ersten Gäste gebe es auf der Insel aber auch „Ängste“, berichtet der Mann mit dem Elektromotorroller: „Die Eigentümer der Appartements, die ich verwalte, sind meist ältere Menschen. Viele fürchten das Virus – und wollen keinen direkten Kontakt mit den Gästen.“
Das Virus ist nicht fort
Ausreichend Masken, Handschuhe und Desinfektionsmittel zur Reinigung der von ihm betreuten Ferienwohnungen hat sich Ninkovic bereits beschafft. Doch was passieren wird, wenn das Virus mitten in der Hochsaison auf einer Insel mit Tausenden von Touristen auftauchen sollte, vermag der umgängliche Verwalter auch nicht zu sagen: „Ich weiß es nicht. Falls sich das Virus im Sommer noch einmal in Kroatien verbreiten und sich der Wahnsinn der letzten Wochen wiederholen sollte, können wir die ganze Saison vergessen.“
Auch wenn sich Corona im Adriastaat rargemacht hat, ist das Virus keineswegs verschwunden. „Wuhan“ hat ein Witzbold auf das Ortsschild von Nerezisca auf der Insel Brac gesprüht. Ein 81-jähriger Inselbewohner hatte sich während eines Klinikaufenthalts in Split mit dem Virus infiziert. Versehentlich ohne Kontrolle entlassen, steckte er nach seiner Rückkehr zu Monatsbeginn über 30 Inselbewohner an: Seit 10. Mai ist auf Brac wieder das strenge Notstandsregime in Kraft – und die Insel unter eine 14-tägige Quarantäne gestellt.

Zumindest die Stühle der Café-Terrassen sind zurückgekehrt. Im Vergleich zu den Wochen des Ausnahmezustands seien auf den Straßen und Gassen der Altstadt „wieder mehr Leute“, versichert in Dubrovnik Nikolina Deranja. „Das Leben kehrt zurück – auch wenn es noch keine Touristen gibt“, berichtet die Eigentümerin des Familienhotels „Villa Sigurata“: „Als die Krise begann, traf man fast niemand auf der Straße. Wenn man die Fenster öffnete, war die Stille total. Weder Autos oder Flugzeuge noch Lachen oder Kinderweinen – es war einfach nichts zu hören.“
Selbst habe sie ihre Zwangspause dazu genutzt, sich mit dem zu beschäftigen, was sie schon immer tun wollte – der traditionellen dalmatinischen Stickkunst, erzählt die dunkelhaarige Gastronomin. Doch jene, die in ein neues Hotel oder Café investiert hätten und nun ihre Kredite ohne Einkünfte abstottern müssten, hätten schon „große Probleme“: „Der Staat hilft in der Krise viel. Ich hoffe nur, dass sich danach auch die Banken kulant zeigen werden.“
2019 quetschten sich 1,4 Millionen Besucher durch die engen Altstadtgassen der von der Unesco als Weltkulturdenkmal geschützten „Adriaperle“: Allein 800.000 Tagestouristen landeten im letzten Jahr die Kreuzfahrtschiffe an. Doch die Virus-Krise ist auch zu einer Krise der Kreuzschifffahrt geworden: Fraglich ist, ob mit der Ankunft der schwimmenden Bettenburgen in dieser Saison in Dubrovnik noch zu rechnen ist. Erst im Juli erwarte sie wieder Touristen, sagt Nikolina: „Aber die Saison wird nicht so werden, wie wir es gewöhnt sind. Denn Corona hat die ganze Welt getroffen, besonders die Staaten, aus denen unsere Gäste kommen: die USA, Großbritannien, Italien, Frankreich und Japan.“
Kroatien habe mit nur noch einer Handvoll Neuinfizierter pro Tag die Virus-Krise weitgehend in den Griff bekommen, sagt Deranja: „Aber wenn die Grenzen aufgehen, wird sich das Virus wieder ausbreiten. Ich hoffe nur, dass es mit den höheren Temperaturen etwas an Kraft verliert.“ Die Stadt habe schon viel mitgemacht, sei im Kroatienkrieg selbst beschossen worden, sagt Nikolina beim Abschied: „Wir Kroaten sind ein Volk, das schon immer von der Hoffnung lebte. Ich bin Optimistin. Wir werden auch diese Krise überstehen.“