Von Frank Tausch
Das Autothermometer zeigt 25 Grad Celsius. Die Sonne hat sich gerade erst emporgeschwungen, an einen Himmel, der blassblau über der Lausitz liegt. Aber schon stehen in der Verwaltung der Agrargenossenschaft See bei Niesky die Ventilatoren in Habt-Acht-Stellungauf den Schreibtischen. Die Fenster sind sperrangelweit offen, um auch den kleinsten Luftzug einzufangen, und Tücher liegen bereit, um vor die Fenster gehängt zu werden und die Hitze auszusperren. Als ob die sich noch aussperren ließe. Seit Wochen glüht die Sonne über Sachsen – über dem Nordosten aber mit den schlimmsten Folgen. Am Schreibtisch mag Werner Otter, der Vorsitzende der Agrargenossenschaft, noch gegen die Hitze kämpfen. Auf den Feldern hat er den Kampf schon verloren.
Wie vergilbtes Schilf raschelt der Mais. Blassgrün hängen manche Blätter noch, die meisten sind längst aschgrau. Otter pflückt einen Kolben, „so groß müsste der sein“, sagt er und zeigt 20 bis 25 Zentimeter mit den Händen. Er lacht bitter auf. Kaum fingerlang ist die Frucht in der Hand des Landwirts. Den klapperdürren Mais kann nicht mal mehr ein Regen retten – dann machen sich nur die Pilze breit.
Hechelnde Kühe
Otter wird die mickrigen Stängel ernten lassen. Ohne Kolben, ausgedörrt und trocken, ist es eine armselige Ernte, ohne Energie. Milchkühen, die Leistung bringen sollen, braucht man solches Futter gar nicht anzudrehen. Aber der Mais ist sowieso am Sterben.
Schon Grünfutter hat Otter kaum hereinbekommen. „Der erste Schnitt der Wiesen war jämmerlich, der zweite Schnitt verheerend, der dritte ist glatt ausgefallen.“ Der Bauer lebt von Reserven. Die letzte Herde hat er Anfang der Woche reingeholt. Die Weiden sehen aus wie eine Steppenlandschaft. Nun stehen die Kühe in den Ställen und schnappen nach Luft – trotz der weit geöffneten Tore. Die Milchleistung sinkt. Wie ein Hohn mutet Otter an, dass jetzt die Stilllegungsflächen freigegeben werden sollen. Dort blühen nur noch Disteln, alles andere ist längst verbrannt. „Was soll ich mit dem Heu, das frisst kein Schwein, geschweige denn eine Kuh“, schimpft er. Futter kaufen kostet Geld. Die Agrargenossenschaft hat schon genug verloren. Das Jahr ist gelaufen. Die Wintergerste war noch gut, aber dann. Der Roggen mies, der Raps allein mit 60 000 Euro Verlust. Nun der Mais. Die Investitionen für teures Saatgut und Pflanzenschutz buchstäblich in den aschgrauen, furztrockenen Lausitzer Sand gesetzt. Einige hunderttausend Euro werden der Agrargenossenschaft, die 1 900 Hektar bewirtschaftet und 28 Mann und drei Lehrlinge beschäftigt, dieses Jahr fehlen. Otter hat schon die Bullenmast abgeschafft, weil es knapp ist mit dem Futter. Aber die restlichen 400 Rinder braucht er, um Arbeitsplätze zu sichern. „Nur Ackerbau machen wir mit zwölf Mann. Aber wir haben doch eine Verpflichtung gegenüber unseren Leuten.“ Er hofft auf Hilfe vom Landwirtschaftsministerium, aber ihm schwant: „Die haben noch gar nicht bemerkt, was hier abgeht.“
Erfreute Blattläuse
Das Thermometer misst nun 28 Grad Celsius. In den Gewächshäusern der Blumengärtnerei Miethke in See zeigt es über 40 Grad. Da helfen auch die weit offenen Türen nicht und die silberglänzende Beschattung. „Das ist zuviel“, sagt Gartenbau-Ingenieur Hans-Jügen Miethke. Da leiden die Gärtner, da leiden die Pflanzen, da leiden auch die Geschäfte. Wer pflanzt schon bei dieser Trockenheit? Sogar die Alpenveilchen schwitzen. Vor einer Woche hat Miethke die Freiland-Chrysanthemen getopft, die müssten sich jetzt ans Freie gewöhnen. „Aber da kriegen die nur Sonnenbrand“, fürchtet der Gärtner. Einzig die Rote Spinne, die Weiße Fliege oder die Blattläuse freuen sich – die Schädlinge vermehren sich bei diesem heißen, trockenen Wetter explosionsartig. So wie der Wasserknöterich. Die Pflanze wuchert in den Teichen von Fischer Funke, besser: in dem, was von den Teichen übrig ist. Wie eine grüne Wiese sieht der Rehberg-Teich aus, die einzige grüne Wiese der Gegend. Aber das ist eben nur dieser Knöterich. Drinnen stehen die Fischreiher und machen leichte Beute unter den einjährigen Karpfen, die im Flachwasser ums Überleben kämpfen. Klaus Funke hat die Nase voll. Schnaufend lässt er sich auf eine Bank fallen. Das Thermometer zeigt jetzt 30 Grad Celsius.
Ähnlich warm ist auch das wenige Wasser in seinen Weigersdorfer Teichen. Der Sauerstoff schwindet. Funke hat sogar das Füttern reduziert. Futter regt den Stoffwechsel an, für den braucht der Fisch aber auch Sauerstoff. Ohne Futter wächst er nicht. „Wieder eingebüßt“, sagt Funke voll Bitternis. Dazu dieser Knöterich. Wenn der fault, dann kippt der Teich endgültig, aber Funke weiß noch nicht, wie er das wuchernde Grün aus den Teichen holen soll. Jeden Tag hört er den Wetterbericht, jeden Tag schaut er zum Himmel. „Ein Wölkchen und du hoffst, dass es schwarz wird. So ein richtiger Platzregen, lange, das wär’s.“ Aber die Wölkchen verdampfen am Himmel und der letzte Regen – „nur ’ne Husche“ – ist drei Wochen her. Über einen Meter ist das Wasser in den Teichen gesunken. Diese Woche wird Funke den ersten entleeren, den kümmerlichen Wasserrest in einem darunter liegenden Teich auffangen und die Fische umsetzen.
Darbende Karnickel
Am Altteich in Weigersdorf wird gebadet. Kinder lachen an der Rutsche. Familie Schäfer macht es sich im Schatten auf Decken bequem. Tochter Annett kriegt schnell Sonnenbrand. Die Familie aus dem nahen Nostitz hat Urlaub. „Wir müssen nicht groß in die Ferne“, sagt Roswitha Schäfer. Am Mittelmeer ist es auch nicht wärmer. Regen wünscht sich Familie Schäfer trotz Urlaub. Schließlich hat sie einen Garten, „und die Karnickel haben auch nichts mehr zu fressen.“
Einen Regen wünscht sich auch Sieglinde Hofmann vom Kiosk Ost am Quitzdorfer See, „in dem man baden kann. Die erzählen Quatsch mit den Blaualgen“, sagt die burschikose Frau. Aber Regen braucht der Rasen vor dem heißen Laden, er ist völlig verbrannt. Sonst fördert die Hitze vor allem den Getränke-Absatz. Auch Eis wird der Frau aus den Händen gerissen; „alles was erfrischt, „Orange-Erdbeer und Joghurt“, und jetzt wartet sie schon wieder auf den Getränkelaster. Der sollte heute früh kommen. „Die haben halt viel zu tun.“ Im Getränke-Schrank hechelt die Kühlung und kommt doch nicht hinterher. Das Thermometer steht mittlerweile bei 31 Grad. Die Luft über dem Wald flimmert jetzt.
„Stellenweise riecht es schon, als ob es brennen möchte“, sagt Peter Wilde. Der Revierförster von Deschka, dem östlichsten Revier Deutschlands, leidet mit dem Wald. Eine Neuaufforstung vom Frühjahr ist tot – komplett vertrocknet, Totalausfall. Die Eichen lassen die Blätter hängen. Linden sehen aus wie im Spätherbst – die gelbbraunen Blätter trudeln in Massen zu Boden. Birken sterben schon ab. Auch die ersten Kiefern. Wilde zeigt auf braune Stellen im Wipfelmeer. „Die sind alle jetzt dazugekommen.“ Es sind Käferbäume. Die Borkenkäfer vermehren sich bei dieser Hitze rasend schnell. Die geschwächten Bäume können sich ggen die Invasion nicht wehren.Rauchende Ignoranten
Aber noch mehr Sorge bereitet dem Forstmann die Brandgefahr. Drei Brände hatte er schon im Revier – „nur gut, dass die Feuerwehr bei uns auf Draht ist.“ Selbst das Heidekraut am Boden raschelt und knistert nur noch. Ein Funke – nicht auszudenken. Da kommt auf dem Weg zum Badesee im Kiefernwald ein offenes Cabriolet den gesperrten Waldweg entlang, zwei junge Mädchen ziehen genüsslich an Zigaretten. Es setzt zwar Bußgelder – aber hilft es? Letztens entzündeten junge Leute Lagerfeuer am Waldsee – wenige Meter vor dem knochentrockenen Forst. Vielleicht hindert die Hitze am Denken. Das Thermometer stoppt bei 33 Grad Celsius. Ein paar Wolken segeln am abendlichen Himmel. Sie segeln davon.