Von Heike Sabel
Thomas Görner ist Diakon. Kein Pfarrer. Deshalb darf er vielleicht auch im halben Schneidersitz im Sessel lümmeln, ein bisschen unrasiert aussehen und einfach anders sein. Seine 45 Jahre versteckt er hinter Jugendlichkeit. Vor allem im Inneren. Schließlich ist er seit 1989 für die Kinder- und Jugendarbeit in der Neustädter Kirchgemeinde zuständig. 1998 begann, was im April bereits seine 30. Auflage erlebt: Der „Tankstellen-Gottesdienst“.
Für November 1998 wurde eine große Jugendwoche vorbereitet. Die sollte, genau wie die Jugendlichen, nicht so traditionell sein. Aber was, wenn nach der tollen Woche alles wieder in den alten Trott verfällt? Dann ist die Enttäuschung größer als die Begeisterung. Verzwickte Situation. „Wir brauchen etwas, was über diese Woche wirkt.“
Mittelalterliche Tränke
statt Schnickschnack
Gesagt - aber nicht so leicht getan. Ein ganz anderer Gottesdienst sollte es sein. Mit einer Band. Na klar. Die war kein Problem. Mit dem Namen war es schon komplizierter. „Alles war Schnickschnack oder schon verbraucht“, erinnert sich Görner. Irgendjemand sprach dann von auftanken, und dass es einem gut gehen soll bei diesem Gottesdienst. So fiel dann das Wort Tankstelle. „Kann ja auch als Pendant zur mittelalterlichen Tränke verstanden werden“, lautete eine weitere Erklärung von Görner. Auch wenn am Anfang manche fragten, an welcher Tankstelle denn der Gottesdienst stattfinde, fanden den Namen schließlich alle passend.
Schlange stehen
beim Segnen
So öffnete sie lange vor der damaligen Jugendwoche, und es gibt sie noch immer. Zwischen dem 17. Mai 1998 und dem 6. April 2003 liegen dann 30 solche Gottesdienste. Über 100 Leute jeden Alters sind jedes Mal dabei.
„Das Verrückteste ist, dass diese alternative Form die Alten nicht, wie anfangs befürchtet, vertreibt und die Jungen eben anzieht.“ Dabei ist der Tankstellen-Gottesdienst kein zusätzliches Angebot zum üblichen sonntäglichen Gottesdienst. Nein, wenn Tankstelle, dann nur Tankstelle.
Wie an einer richtigen Tankstelle gibt es verschiedene Zapfsäulen. Das heißt, es wechseln sich konventionelle und moderne Abschnitte ab. Modern sind vor allem die Musik, die drei Lieder zum Warmsingen am Anfang und der Kreativteil. In ihm wird das Thema des Gottesdienstes dargestellt. Natürlich gibt es eine Verkündigung, das Gebet und die Predigt.
Doch auch hier fließen moderne Elemente ein. So wird beim Gebet ein Kreuz aufgestellt. An die Nägel können Wünsche gehangen, auf der Grundplatte Teelichter aufgestellt sowie Blumen und Steine niedergelegt werden.
„Auch eine Segnung ist möglich.“ Sonst ist das nur zu herausragenden Anlässen üblich, wie zum Beispiel Taufen oder Hochzeiten. „Deshalb waren wir am Anfang hin- und hergerissen“, sagt Görner. Dass die Leute heute Schlange stehen, gibt ihm und den anderen Recht. Dazu gehören neben den ehrenamtlichen Kirchenmitarbeitern die Junge Gemeinde sowie die Band und der Jugendchor.
Im April geht es um
Gastfreundschaft
Thema beim Jubiläum am 6. April wird die Gastfreundschaft sein. Im Januar waren es Humor und Lachen. Bisher wurden zudem unter anderem Beichte und Seelsorge, Dankbarkeit, Spaßgesellschaft, Bilder und Gott und Träume, Wunder, Frieden behandelt.
Und noch etwas ist anders als sonst: Es predigt nicht der Pfarrer. Jeder, der es mal versuchen will und ein bisschen rhetorisches Talent hat, kann es probieren. „Wir sind da immer wieder am Suchen“, sagt Görner.
Er ist auch bei der 30. Auflage noch immer nicht ganz zufrieden. Zwar läuft es inzwischen ganz gut, doch er hinterfragt immer wieder. „Es entwickelt sich einfach stets weiter, und genau das ist das Spannende an diesem Gottesdienst.“ Auch deshalb ist Thomas Görner Diakon.