Von Andreas Kirschke
Hast du schon unseren Fels gesehen?“, fragt Ottilia Schlosser auf Deutsch. Der stämmige junge Mann ihr gegenüber blickt sie nur ungläubig an. Er antwortet in Sorbisch. Fließend wie ein Einheimischer. Dabei lernt Martin Schünemann Sorbisch erst seit April 2001. Seit Ende Mai 2003 lebt der 26-Jährige bei Familie Schlosser in Crostwitz. „Der spricht nur Sorbisch mit mir“, erzählt seine Wirtin mit lachenden Augen.
Tagsüber arbeitet der junge Mann als Zivildienstleistender im Altenheim St. Ludmila. Er hilft in der Küche. Manche Hausmeister-Arbeiten obliegen ihm. Den Ort – das katholische Sorbenland – hat sich Martin, der aus Naumburg stammt, gezielt gewählt. Er erzählt von einem guten Freund, der früher in Dresden lebte: „Kaj weilte mehrfach in der Lausitz“, entsinnt er sich an dessen Schilderungen über die Sorben. Beide sind 2002 von der evangelischen zur katholischen Kirche konvertiert.
Martin holt jedoch noch tiefer aus. „Mit 14, 15 etwa sah ich einen Fernsehbeitrag. Es ging um die Pflege der sorbischen Sprache, um die bedrohte sorbische Sprache. Damals war das unerreichbar für mich“, schildert der junge Mann. Der Beitrag zeigte einen Gottesdienst in Radibor, die schmucken Mädchen in Druzka-Trachten. Er zeigte Pfarrer Jan Mahling. „Dieser meinte damals, dass in vielen Gebieten heute kaum noch Menschen sorbisch sprechen.“ Eine Sorge, die in Martin tiefe Spuren hinterließ. Sein Interesse und seine Neugier wuchsen. Er informierte sich näher über die Sprache, auch zu Bräu-chen wie dem Osterreiten und zur Vogelhochzeit. „Ich stand vor dem Thema: Ich will sorbisch lernen“, entsinnt er sich. Doch das Schul-sorbisch reichte ihm dafür nicht aus. Lehrbücher, so sagt er, könnten vielleicht eine Hilfe sein. Doch keine wirkliche Grundlage. Stattdessen wollte er in den Alltag der Sorben eintauchen. Direkt vor Ort. Mit allen Konsequenzen. Umschlossen von der täglichen sorbischen Umgangssprache.
Martin brachte einem Freund Deutsch bei
Warum? Martin erzählt von zwei tschechischen Freunden: Von Martin und Jakob. Beide hatten in der Schule Deutsch gelernt. Doch immer wieder bemerkte Martin bei Jakob Fehler: „Es war mein Wunsch, dass er die deutsche Sprache auch richtig gut kann – die Umgangssprache.“ Deswegen hat er Jakob immer wieder geholfen, seine Wen-dungen berichtigt.
Nach dem Ende des Studiums der evangelischen Theologie an der Universität Jena zog es Martin in die Lausitz. Stephan Delan in Radibor half ihm weiter. Auch Rafael Ledschbor in Ralbitz. Öfter, an den Wochenenden, kam Martin zu Lenka Anders nach Panschwitz-Kuckau. Sie lernte Sorbisch mit ihm. „Ihr lag es wirklich am Herzen. Sie wollte, dass ich die Sprache auch kann.“
Seit Ende Mai bringt er sich Sorbisch in Crostwitz nun selbst bei. Er lernt nach seiner eigenen Methode – beim Einfachsten beginnend, am einzelnen Wort orientiert. In Heftern hat er Wendungen und Vokabeln sorgfältig notiert. Inzwischen gibt es sogar einen eigenen Hefter speziell für den katholischen Dialekt. Eben den lernt Martin tagtäglich. „Ich achte darauf, dass ich nicht mische, dass ich das saubere Sorbisch lerne“, erzählt er. „Es ist für mich nichts Fremdes mehr. Sorbisch ist für mich eine Herzenssprache.“ Schon öfter passierte es ihm, dass Leute glaubten, er stamme aus der Gegend. So flüssig spricht er inzwischen Sorbisch. Oft fragt er sich, ob seine Sprachwendung auch wirklich sauberes Sorbisch sind. Er bohrt so lange nach, bis er den passenden Begriff, die richtige Wendung, dafür gefunden hat. „Das Tempo beim Sprechen ist weniger das Problem“, meint er. „Doch das Mischen.... Ich habe kein Interesse daran, das zu lernen.“
In Crostwitz findet er nach und nach Kontakte. Mit der Laienspielgruppe fuhr er jüngst zum Auftritt nach Radibor. Martin half beim Aufbauen mit. In Panschwitz weilte er zum Domowina-Treffen. „Ich möchte mit denen reden, die auch richtig gut sorbisch können.“
Martin möchte nicht, dass das Kulturelle zur Folklore verkommt. Er orientiert sich am innersten Kern des Sorbischen – an der Sprache. Gleichberechtigt erschließt er sie sich – auf einer Ebene zur deutschen Sprache. Martin glaubt, dass viele den Fehler machen, die andere Sprache nur auf dem Fundament ihrer Muttersprache zu bauen. „Als Hilfsmittel ist die Muttersprache gut. Doch nicht als Fundament“, deutet er an, dass Gelassenheit und Gottvertrauen wichtiger sind.
Gern will er eines Tages mitten im Sorbenland leben. Es ist wie eine Wahlheimat für ihn. „... Du gehst gern weg“, hat die Oma daheim zu ihm gesagt. „Für mich ist nicht die Frage, ob ich weggehe“, sagt Martin. „Es ist die Frage, ob ich gern hierher gehe.“