Von Thomas Morgenroth
Ein junger Mann im Leinenanzug, die Jacke lässig über die Schulter gehängt, schlendert im Mai 1901 in Ajaccio auf der Insel Korsika über den Strand. Zwei junge Frauen, die Schwestern Molitor, folgen ihm mit ihren Blicken. Olga, wie der Mann knapp 20, schreibt ihre Sehnsüchte als Gedichte in ihr geheimes Buch. Ihre fünf Jahre ältere Schwester Lina aber wird mit ihm fliehen, ihn heiraten und nach Amerika gehen.
Sechs Jahre später wird der junge Mann, der Rechtsanwalt Karl Hau, von einem Schwurgericht in Karlsruhe zum Tode verurteilt. Er soll seine Schwiegermutter Josefa Molitor aus Habgier erschossen haben. Hau, der seine Unschuld beteuert und sich selbst verteidigt, verweigert nach amerikanischer Manier weitgehend die Aussagen, darauf vertrauend, dass ihm die Schuld nachgewiesen werden muss. Das Urteil, später in lebenslange Haft umgewandelt, kommt angesichts der dürftigen Beweislage selbst für Haus Gegner überraschend.
Der Mordfall Hau ist als einer der größten Indizienprozesse in die Kriminalgeschichte eingegangen. Ein geeigneter Stoff für Literaten und Filmemacher also. Aber es blieb 100 Jahre lang bei eigenen Beschreibungen Haus in zwei Büchern und dem von Olga Molitor abgelehnten Plan Berliner Filmproduzenten 1922. Erst 2006 veröffentlichte der Kölner Autor Bernd Schroeder im Hanser-Verlag seinen Roman „Hau“, den er am Donnerstag auf Einladung des Freitaler Buchhändlers Wieland Büttner in der Porzellanmanufaktur Dresden in Freital-Potschappel vorstellte.
Der 63-jährige Grimmepreisträger, der schon 1972 den Fall verfilmen wollte, hat keinen Krimi geschrieben, in dem auf den letzten Seiten der Täter entlarvt wird. In „Hau“ gibt es keinen Täter zu überführen. Und ob es Karl Hau wirklich war, darüber maßt sich Schroeder auch nach dem Studium von mehr als 42 000 Seiten Gerichtsakten, 600 Briefen und anderen Dokumenten kein Urteil an: „Die Schuldfrage hat mich nicht interessiert.“
Schroeder faszinierte vielmehr die schillernde Figur Haus, die Dreiecksgeschichte zwischen ihm, seiner Frau und Schwägerin Olga, sowie der Prozess und die 18 Jahre währende Haft in Bruchsal. Bernd Schroeder arbeitet mit Rückblenden, springt von 1901 nach 1926 nach 1906 und zurück. Das gibt seinem in den Fakten authentischen Bericht, dessen Ausgang von vornherein klar ist, eine Spannung, die es mit jedem guten Krimi aufnehmen kann. Sehr zu empfehlen!