Von Ingolf Reinsch
Christian Tomschke sagt von sich selbst, sein Leben hänge nur noch an einem Faden. Der 72-Jährige ist seit drei Jahren auf die künstliche Niere angewiesen und schwer herzkrank. Zweimal in der Woche fährt er während der Dialysebehandlung unter fachlicher Betreuung 30Minuten Rad. „Das tut mir gut“, sagt der Ohorner, der viermal in der Woche zur Blutwäsche nach Bischofswerda muss.
Andere zahlen, die AOK nicht
Christian Tomschke macht sich Sorgen, dass es mit dem Sport während der Dialyse bald vorbei sein könnte. Auch die Patienten neben ihm sind beunruhigt. Denn ihre Krankenkasse, die AOK Plus, lehnt es ab, den Sport zu bezahlen. Andere Kassen gewähren diese Leistung. Die AOK Plus begründet ihre Ablehnung damit, dass der Reha-Sport während der Dialysebehandlung in der Rahmenvereinbarung der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten sei. Selbst wenn man an der Lage zugunsten der Patienten etwas ändern wolle, würde es im Alleingang nicht gehen, sagt Dirk Molis, Bereichsleiter Gesundheit bei der AOK Plus. Nur wenn es bundesweit eine verbindliche Regelung gibt, wird sich auch die AOK beteiligen. Das Problem in Bischofswerda: Von den 80 Dialysepatienten sind, wie Christian Tomschke, drei Viertel bei der AOK Plus versichert. Jeder Zweite von ihnen nimmt am Sportprogramm teil.
Das KfH-Nierenzentrum Bischofswerda ist das einzige in Ostsachsen, das den Reha-Sport während der Dialyse anbietet. Vor allem aufgrund des Engagements der beiden leitenden Ärztinnen, Dr. Kirsten Anding-Rost und Dr. Simone Kuchinke, wurde der Sport als Pilotprojekt im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen eingeführt, heißt es beim Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation in Neu-Isenburg. „Wir konnten nachweisen, dass es den beteiligten Patienten gesundheitlich besser geht, wenn sie während der Dialysebehandlung an einem Trainingsprogramm teilnehmen“, sagt Professor Claudia Barth, Vorstand des Kuratoriums.
Christian Tomschke möchte auf das Radfahren während der Dialyse nicht mehr verzichten. Jedesmal sind es vier, fünf Kilometer, die er auf dem Ergometer zurücklegt. „Es ist unsere Tour zum Butterberg“, machen sich die Männer in den Dialysebetten gegenseitig Mut.
Fachärzte vergleichen die Dialysebehandlung von der Belastung her mit einem Marathonlauf. „Ich bin hinterher jedes Mal fix und fertig“, sagt Christian Tomschke. Sich selbst um den Sport kümmern zu müssen, würde ihn und auch die anderen Patienten gesundheitlich und zeitlich überfordern. Zumal die Bedingungen im Nierenzentrum „optimal“ sind, sagt Dr. Kirsten Anding-Rost. Die Patienten haben während der Behandlung Zeit. Ein Sporttherapeut steht ihnen zur Seite. Ebenso gibt es Ärzte und Schwestern. Sport während der Dialyse steigere Leistungskraft und Lebensqualität der Patienten und erhöhe deren Lebenserwartung, sagt die Ärztin.
Mehr als 70000 Menschen in Deutschland sind auf die künstliche Niere angewiesen. Ein Viertel werden in Einrichtungen des Kuratoriums behandelt. „Wir würden gern allen Patienten den Reha-Sport ermöglichen, können es aber nicht überall finanzieren“, sagt Claudia Barth. Allein ein Rad fürs Dialysebett kostet 6000 Euro. Deshalb sei das KfH auf die Krankenkassen angewiesen. Dort, wo das Kuratorium den Sport ermöglicht, trägt es bisher die Kosten selbst.
Zehn fruchtlose Jahre
Ausdauer- und Kraftsport während der Dialysebehandlung ist nicht das einzige Beispiel, wo Krankenkassen selbst entscheiden können, ob sie zahlen oder nicht. Unter anderem ambulante Vorsorgekuren, erhöhte Zuschüsse für Rehabilitationskuren und die Kostenübernahme alternativer Heilmethoden und Zusatzimpfungen gehören ebenfalls dazu.
Seitens der AOK gebe es keinen Zweifel am Nutzen des Sports für Dialysepatienten, sagt Dirk Molis. Ob es die Kasse, eventuell auch als „Insellösung“ in Bischofswerda, finanziert, müsse der Vorstand entscheiden. Dort werde man das Projekt vorstellen. Allerdings: Das Problem ist nicht neu. „Wir reden seit zehn Jahren darüber, bisher ohne Erfolg“, sagt Dr. Kirsten Anding-Rost. In solchen langen Zeiträumen denkt Christian Tomschke längst nicht mehr: „Ich freue mich über jeden Tag“, sagt er. Auf ein Wort