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Das Mitleid des Richters mit Kartoffeldieben

Als in Döhlen noch Recht gesprochen wurde. Ein SZ-Reporter erinnert sich an seinen ersten Fall, bei dem Hunger eine Rolle spielte.

Von Heinz Fiedler
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1879 als königliches Amtsgericht in Döhlen in betrieb genommen, wird die Institution bis Ende 1992 wirksam, ab 1952 unter der Bezeichnung Amtsgericht Freital.
1879 als königliches Amtsgericht in Döhlen in betrieb genommen, wird die Institution bis Ende 1992 wirksam, ab 1952 unter der Bezeichnung Amtsgericht Freital. © Archiv Fiedler

Das Haus, dass immer mal wieder in meinen Erinnerungen eine Rolle spielt, existiert im nächsten Herbst 141 Jahre. Es ragt an einem Döhlener Zentralpunkt auf, zwischen den örtlichen Rathaus, dass kein Rathaus mehr ist, aber dennoch unverändert als eine stilvolle Zierde des jetzigen Freitaler Stadtteiles auffällt und dem traditionsreichen Gasthof „Krille“, der inzwischen aus dem Ortsbild gänzlich verschwunden ist. Eine Einkehr mit dem größten Saal des Weißeritztales.

Besagtes Gebäude könnte man für ein besseres, gutbürgerliches Wohnhaus von seiner Zeit halten. Wir haben indes es mit einem Amtssitz zu tun. 1879 zog die Justiz als Hausherr ein - das Amtsgericht Döhlen war geboren.

Als blutjunger damals 19-Jähriger Volontär, erhielt ich 1947 von der SZ- Lokalredaktion Plauenscher Grund-Freital meinen allerersten Zeitungsauftrag. Ich hatte über eine Verhandlung im Döhlener Gericht wegen eines Kartoffeldiebstahles auf Schweinsdorfer Flur zu berichten. Angeklagt war ein Herr Z aus Deuben, Glasmacher und zweifacher Familienvater. Seine schmale Beute: noch nicht einmal ein Kilo Erdäpfel, dann hatte ihn der Flurschutz in flagranti erwischt. 

Diebstähle dieser Art waren damals nichts Seltenes. Wir hatten alle Hunger, jeder versuchte irgendwie mit dem Rücken an die Wand zu kommen. Die Verhandlung in Döhlen war nicht sonderlich aufregend. Der Angeklagte, dem sein erstes Auftreten vor Gericht offensichtlich peinlich war, legte ohne Beschönigung ein volles Geständnis ab, mit dem Zusatz, dass er seine Tat zutiefst bereue. Die Familie habe gehungert, bei ländlichen Betteltouren sei er leer ausgegangen, für den schwarzen Markt hätten ihm die nötigen Mittel gefehlt. 

Der Richter sah keine Möglichkeit, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Er verurteilte den Glasmacher zu einer Haftstrafte von 4 Monaten ohne Bewährung.

Nach der Verhandlung kam ich mit dem Richter, ein Herr Heger aus Tharandt, in ein kurzes Gespräch. Von ihm erfuhr ich, dass er mit seinen 72 Jahren längst Ruheständler sei. Weil es an Richtern fehle sei er eingesprungen. Allein vergangene Woche habe er 8 Kartoffelklauverhandlungen geleitet. „Mir tut so manch Angeklagter leid, aber wenn wir normale Verhältnisse erreichen wollen, dann muss die Justiz hart durchgreifen.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Über meine eben geäußerten Empfindungen, schreiben sie bitte nichts. Es ist nun einmal so: Richter können sich in Ausübung ihres Berufes, keinerlei Herztöne leisten.“ 

Diebstahl an der Tagesordnung

Die gute alte Zeit, von der ja keiner so recht weiß wann sie eigentlich war, verlief keineswegs ausschließlich sanft und friedfertig. Der Statistik von 1912 ist zu entnehmen, dass es allein im ersten Halbjahr in Gemeinden und Ortschaften des Weißeritztales 204 Mal zu kriminellen Handlungen kam. Vom simplen Diebstahl, Kneipenschlägereien mit Verletzten, Landstreicherei, Urkundenfälschung bis zu Mord und Totschlag. 

Diebstähle stehen an erster Stelle. Dazu ein Presseauszug: „Spitzbuben gehen mit immer größerer Dreistigkeit vor. Am hellen Tag schlug vorige Woche ein Übertäter die Schaufenster eines Urmachers in der Unteren Dresdner Straße (Potschappel) ein und ließ zwei Taschenuhren, mehrere Taschenlampen und diverse Schmuckringe mitgehen. Der Mausehaken entkam.“  

Otto Reutters berühmtes Couplet „Schau ich weg, von dem Fleck, ist der Überzieher weg…“ scheint direkt auf den Wirtshausalltag im Weißeritztal gemünzt zu sein. Laufend verschwinden Bekleidungsstücke vom Garderobehaken der Gaststätten -meist auf nimmer wiedersehen.

Eifersucht und Liebesdrama

Ein grausiges Liebesdrama löst 1910 in der Öffentlichkeit Entsetzen aus. Ein aus Gittersee stammender Kernmacher tötet aus Eifersucht seine in Roßthal zur Untermiete wohnende Geliebte mit zwei Revolverschüssen. Anschließend begeht der Täter mit einem Schuss in die Schläfe Selbstmord. Eine ähnliche Tragödie spielt sich an einem sonnigen Sonntagvormittag 1923 im Treppenaufgang eines Deubener Mietshauses ab. Eine junge Frau ist eben dabei die Hausordnung zu verrichten als ihr Verlobter die Haustür aufstößt und die ahnungslose Frau mit drei Schüssen niederstreckt. Der Täter zeigt sich gleich darauf bei der Polizei selbst an. Sein Motiv: Eifersucht. Er wird zu zwanzig Jahren Zuchthaus verurteilt.

Für eine handvoll Kartoffeln

Als in den Zwanziger Jahren die Inflation wütet, nehmen Verstöße gegen Recht und Ordnung sprunghaft zu. Während der Kartoffelernte herrschen auf den Feldern im Bereich Wilsdruff chaotische Verhältnisse. Hunderte gewaltbereiter Kartoffelstoppler bedrohen die Landwirte. Schon in der Frühen Morgenstunde rücken meist junge Burschen aus Dresdner Vororten an, um alle Gesetze friedlichen Stoppelns außer kraft zu setzen.

Zu den schlimmsten Ausschreitungen kommt es auf Feldern in Unkersdorf und Kaufbach wo sich Jugendliche direkt hinter der Erntemaschine ungeniert ans Auflesen machen. Als Landwirte daraufhin die Arbeit niederlegen, stürmt die Menge die bereits mit Kartoffeln beladenen Waagen. Ein Bauer wird krankenhausreif geprügelt. Die alarmierte Polizei geht mit Gummiknüppeln gegen rabiate Kartoffelplünderer vor. Nur mit Hilfe von polizeilichem Präsenz, kann die Ernte mit erheblichen Verlusten für die Landwirtschaft zu ende gebracht werden. 

Umzug nach Dippoldiswalde

Der Kartoffelkrawall wird im Amtsgericht Döhlen verhandelt, etliche Angeklagte erhalten hohe Zuchthausstrafen. Die Döhlener Institution war bis 1952 für die Bereiche Tharandt, Gebiete von Dresden, Dippoldiswalde und Freiberg zuständig. Mit der Kreisreform 1952 wird aus dem Döhlener Objekt das Kreisgericht Freital, dass bis Weihnachten 1992 fungiert. Aus dem Zusammenschluss der Kreisgerichte Freital und Dippoldiswalde resultiert seit Anfang 1993 das Amtsgericht Dippoldiswalde. 

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