Fall Dynamo: Eine nicht zu ändernde Ungerechtigkeit

Dresden. Er ist nicht nur ein absoluter Experte in Rechtsfragen rund um den Profifußball, Christoph Schickhardt kennt sich auch rund um Dynamo bestens aus. Seit dem 1. Januar 1992 ist er Mitglied und vertrat die Schwarz-Gelben wiederholt bei Verhandlungen vor dem Sportgericht des Deutschen Fußballbundes (DFB), am intensivsten beim Streit um den Ausschluss des Vereins aus dem DFB-Pokal vor acht Jahren. Nun kämpft Dynamo als Tabellenletzter gegen den Abstieg aus der 2. Bundesliga - und gegen den Nachteil, zuschauen zu müssen, während die Konkurrenten punkten. Im Interview mit sächsische.de spricht der Professor aus Ludwigsburg über mögliche Wettbewerbsverzerrungen und die Rechtslage.
Herr Schickhardt, Dynamo muss für 14 Tage in häusliche Quarantäne, kann nicht spielen und nicht trainieren, die Konkurrenten aber schon – ist das aus juristischer Sicht eine Wettbewerbsverzerrung?
Lassen Sie mich kurz vorausschicken, dass die DFL eine Herkulesaufgabe zu schultern hatte, die aus meiner Sicht unter Leitung von Christian Seifert grandios erledigt wurde. Dass man es aufgrund der Schwere der Aufgabe nicht in allen Richtungen perfekt abwickeln kann, ist klar. Es bleiben also immer Fragen, Holprigkeiten und auch Ungerechtigkeiten. Die sind aber quasi systemimmanent und nicht zu ändern. Konkret trifft es nun Dynamo. Aber auch Hannover 96 hat durch das abgesagte Spiel gegen Dresden einen Nachteil, weil die Mannschaft nun auf einen Gegner trifft, der mit der Situation eines Geisterspiels schon vertrauter ist.
Hannover konnte am vergangenen Wochenende zwar nicht spielen, aber im Gegensatz zu Dynamo wenigstens als Team auf dem Rasen trainieren.
Natürlich, die Situation ist für Dynamo absolut unbefriedigend. Keine Frage. Aber sie ist nicht durch den Fußball geschuldet, sondern überwiegend durch Behörden. Für uns war es immer eine Selbstverständlichkeit, dass alle Mannschaften gut trainiert in den Spielbetrieb starten können. Das ist nun aber von vornherein durch die unterschiedlichen Auflagen in den einzelnen Bundesländern und Kommunen nicht möglich: Ein Verein durfte schon in Mannschaftsstärke trainieren, andere nur in Kleingruppen.
Dynamo trifft es jedoch besonders hart, fast die gesamte Vorbereitung auf den Re-Start fällt aus.
Das ist für Dresden trainingsmethodisch jetzt kaum lösbar. Die Medaille hat aber zwei Seiten. Es ist natürlich auch so, dass Dynamo die Gelder aus der TV-Verwertung und den Sponsorenverträgen braucht. Wenn man an das Ganze denkt, gehört diese Quarantäne, diese Zwangspause zu den Kollateralschäden. Jede Medaille hat wie gesagt zwei Seiten – nichts ist perfekt, aber das muss man jetzt ertragen.
Dynamo muss zuschauen, während die Konkurrenten punkten, der Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz wächst. Dies könnte ein psychisches Problem werden, ist es ein rechtliches?
Das kann man auch anders sehen. Ich habe bei Wiederholungsspielen von Mannschaften, die wie Dynamo jetzt im Abstiegskampf stecken, immer die Ansicht vertreten, sie so spät wie möglich auszutragen. Gegner, für die es jetzt noch um etwas geht, können zum Zeitpunkt des Wiederholungstermins im gesicherten Mittelfeld, also im Niemandsland, stehen. Für Dynamo sind die Chancen mit vielen Spielen kurz vor Ende der Saison aus meiner Sicht also nicht kleiner.
Wie es aussieht, müsste Dynamo neun Spiele innerhalb von vier Wochen bestreiten. Ist das zumutbar?
Das kann nur der Trainer entscheiden. Bei anderen Sportarten hat mich immer überrascht, dass dies offensichtlich zumutbar ist, wenn man an Eishockey oder Handball denkt.
Eine Möglichkeit wäre es gewesen, dass Dynamo die jetzt ausgefallenen Spiele nach dem 30. Juni nachholt. Ginge das überhaupt?
Eindeutig ja. Der Weltverband Fifa hat den einzelnen Landesverbänden erlaubt, bis Ende Oktober ihre Ligen zu beenden.
Aber gilt nicht an den letzten beiden Spieltagen der Grundsatz, dass alle Partien zeitgleich angepfiffen werden müssen?
Man könnte den letzten Spieltag ja komplett am 10. Juli austragen, das wäre möglich. Aber solch differenzierte Grundsätze, wie der von Ihnen genannte, sind bei der Tiefe der Krise wahrscheinlich nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Ein anderes Szenario: Nehmen wir an, Dynamo steht nach dem 34. Spieltag weiter auf einem Abstiegsplatz. Würden Sie dem Verein empfehlen, sich juristisch beraten zu lassen?
Eine juristische Beratung ist immer vernünftig. Wenn aber alle Spiele - wie auch immer - absolviert wurden, hätte ein Gang vors Gericht vermutlich wenig Aussichten auf Erfolg. Natürlich müsste man dann schauen, wie genau die Umstände waren, ob gegen Grundsätze verstoßen wurde etc. Aber insgesamt ist das Paket der DFL plausibel und macht Sinn. Weiteres muss man sich vorbehalten.
Sie beschäftigen sich seit 35 Jahren mit dem Sportrecht, speziell auch im Fußball. Haben Sie solch ein Szenario schon einmal erlebt?
Nein, das ist völliges Neuland. Ich hoffe sehr, dass dieser tolle Traditionsverein das übersteht, und dass es mit dem Fußball in Dresden weiter bergauf geht. Dynamo muss endlich dauerhaft einen festen Platz im deutschen Profifußball einnehmen.
Das Gespräch führte Daniel Klein.
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