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Standard ist stark

Aus der Kraft ruhender Bälle gewinnt Dynamo Dresden neuerdings nicht nur Zuversicht, sondern reihenweise Spiele.

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© Mike Worbs

Von Tino Meyer

Wirklich wohl fühlt sich Uwe Neuhaus nicht, und das merkt man ihm auch an. Ernst sind Gesicht und Tonlage, angespannt klingt seine Stimme, abgespannt sieht er aus. Das Spiel am Mittwochabend in Stuttgart ist so gar nicht nach den Vorstellungen des Cheftrainers von Dynamo Dresden verlaufen, mal abgesehen vom Ergebnis. 2:1 hat seine Mannschaft zwar gewonnen, und klar hat er sich darüber gefreut. Umso mehr ärgert sich der 55-Jährige allerdings über die vielen Fehler, vor allem in der zweiten Hälfte.

Dass für den sechsten Sieg hintereinander Eckball und Freistoß herhalten müssen, also nichts rausgespieltes zu Toren führt, ist ihm dennoch gerade recht. „Wir haben diesmal zwei Standardsituationen benötigt, um das Spiel zu gewinnen. Dafür muss man sich nicht schämen oder entschuldigen. Die gehören auch dazu. Und das ist sicherlich eine Stärke von uns seit einigen Wochen“, meint Neuhaus.

Die Statistik bestätigt ihn. Elf der 24 erzielten Tore sind bislang nach sogenannten ruhenden Bällen gefallen, fast die Hälfte also. Gegen die Stuttgarter Kickers haben die Dresdner die Standards einmal mehr stark gemacht – oder ist es doch andersherum? Machen die Standards Dynamo stark? Wahrscheinlich stimmt beides. Die Gewissheit um diese Stärke ist inzwischen eben auch Standard beim Spitzenreiter.

Geheimtraining im Stadion

Jeweils nach Vorlage von Marvin Stefaniak haben Torjäger Justin Eilers und Kapitän Michael Hefele getroffen und damit das hart umkämpfte Spitzenspiel entschieden, wie auch Kickers-Coach Horst Steffen feststellt: „Wir haben stark agiert in vielen Phasen, doch über Standards das Spiel verloren. Aber Uwe sagt es ganz richtig, die gehören dazu“, meint Steffen und weist noch mal explizit auf den Unterschied hin: „Wir hatten auch einige Standards, die wir besser hätten verwerten können. Das ist nun mal ein Mittel, um Spiele zu gewinnen.“

So recht behagt Neuhaus das Lob für die starken Standards aber nicht. „Probatestes Mittel?! Ja, okay, vielleicht in den letzten zwei, drei Spielen, sicherlich“, sagt er, will sich bei dem Thema aber eigentlich nicht länger aufhalten. Nur der eine Satz noch, und der ist Absicht. „Ich würde mir wünschen“, sagt Neuhaus, „wenn man in der Zeitung mal lesen könnte, dass diese erfolgreichen Standards die Auswirkung vom nichtöffentlichen Training bei uns im Stadion sind.“ Einige Male hat Dynamo zuletzt dort – je nach Blickwinkel – trainieren können bzw. dürfen. Denn wenn es nach dem Wollen ginge, dann vermutlich gern auch öfter. Aber der Rasen im Stadion ist nicht erst seit Jürgen Klopps Manöverkritik beim Pokalspiel gegen Dortmund im März ein heikles wie leidiges Thema.

Wem es also momentan zu harmonisch ist in Fußball-Dresden, kann in Neuhaus’ Ausführungen eine gezielte Spitze in Richtung Stadionprojektgesellschaft interpretieren. Oder auch an die eigenen Verantwortlichen im Verein, endlich professionelle Trainingsbedingungen zu schaffen, die einem baldigen Zweitligisten würdig sind. Oder man hält es doch einfach so, wie Neuhaus sagt: „Es macht Spaß, wenn man den Erfolg des Geheimtrainings sieht.“

Dem Vernehmen nach steht Neuhaus bei diesen Einheiten am Spielfeldrand und nimmt seine bevorzugte Position ein: die des Beobachters. Den Aufgabenbereich Standard hat er nämlich an seinen Assistenten Peter Nemeth abgegeben. Outgesourct würde man in der Wirtschaft sagen – und Nemeth dazu gar nichts. Zum einen entspricht das seinem Rollenverständnis mit Neuhaus als Cheftrainer, der damit also in der Kommunikation nach außen auch der Chefsprecher ist. Zum anderen scheint ihm die Sache wohl zu banal.

Schließlich sind Standards keine neue Erfindung, sondern lediglich Teil des Trainings und genauso wichtig wie die konditionelle Basis sowie taktische Cleverness. Meist donnerstags bildet Nemeth im Stadioninneren also Gruppen und lässt immer wieder Eckbälle und Freistöße in den Strafraum schlagen. Dabei korrigiert er, gibt Tipps und berät sich insbesondere mit Stefaniak. „Marvin bringt die Bälle momentan unheimlich konstant. Und so wie sie in den Strafraum fliegen, sind sie auch ohne Einwirkung anderer Dynamo-Spieler gefährlich“, erklärt Neuhaus betont allgemein.

Auch Stefaniak selbst verrät nur wenig. Dass er ebenso jede seiner Vorlagen zählt wie es Eilers mit seinen Treffern tut. Würde man daraus einen Wettstreit machen, der Dauertorschütze läge mit 11:9 vorm Dauervorbereiter. Und Stefaniak sagt noch, wie froh er ist, dass die Standards gerade so perfekt funktionieren.

Warum und wieso bleibt so geheim wie das Geheimtraining. Immerhin deutet der 20-Jährige an, dass er mit Fingerzeichen arbeitet. Vermutlich muss man sich das dann so vorstellen wie bei einem Aufschlag im Volleyball. Bestätigen oder gar zeigen will das aber weder Stefaniak noch Neuhaus und erst recht nicht Nemeth. Hauptsache die Mitspieler wissen Bescheid, am besten so wie vorgestern in Stuttgart.