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Was der DDR-Nationaltrainer zu sagen hat

Bernd Stange war Fußballlehrer in der Ukraine, in Australien, dem Irak und Syrien. In Bautzen berichtet er über seine Arbeit und blickt in die Oberlausitzer Zukunft.

Von Tilo Berger
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Bernd Stange in der alten Heimat und in seinem Element: Unterhaltsam erzählte er am Montag in Bautzen aus seinem Leben als Fußballspieler und -trainer.
Bernd Stange in der alten Heimat und in seinem Element: Unterhaltsam erzählte er am Montag in Bautzen aus seinem Leben als Fußballspieler und -trainer. © Steffen Unger

Bautzen. Fußballfans hatten am Montagabend die Wahl. Sie konnten sich entweder im Fernsehen das Spiel der Regionalliga Bayern zwischen Wacker Burghausen und Türkgücü München (1:2) ansehen. Oder sie nutzten die Gelegenheit, im Bautzener Residence-Hotel zwei namhafte Trainer zu treffen: Bernd Stange und seinen langjährigen Assistenten Harald Irmscher. Fünf Frauen und etwa 100 Männer entschieden sich für die zweite Möglichkeit und dürften es nicht bereut haben.

Wäre doch jedes Fußballspiel so unterhaltsam und kurzweilig wie das zweieinhalbstündige Forum mit dem gebürtigen Gnaschwitzer Stange und dem in Oelsnitz im Erzgebirge geborenen Irmscher. Beide sind mittlerweile über 70 und kennen sich etwa ein halbes Jahrhundert. Erstmals getroffen haben sie sich 1970 mit gut 20 Jahren beim FC Carl Zeiss Jena und mochten sich anfangs nicht sonderlich. Aber über diese Zeiten wollten sie am Montagabend mit dem gut vorbereiteten Moderator Andras Lischke – sonst Stadionsprecher bei Budissa Bautzen – gar nicht so lange reden.

Bis 2004 trainierte Bernd Stange die Nationalmannschaft des Irak.
Bis 2004 trainierte Bernd Stange die Nationalmannschaft des Irak. © AP

Bernd Stange resümierte seinen Anfang im Trainerstab des einstigen DDR-Spitzenclubs als „harte und gute Lehrjahre, deshalb habe ich heute viel Verständnis für junge Trainer wie Julian Nagelsmann“. Ohne den neuen Chef des Bundesligisten RB Leipzig noch einmal namentlich zu nennen, legte Stange nach: Er wünsche sich von heutigen Trainern etwas mehr Demut und Einsicht bei eigenen Fehlern.

Womit das Forum den Bogen schlug von tiefster Vergangenheit in die Gegenwart. Auch an anderer Stelle erlaubte sich Bernd Stange einen Seitenhieb auf das Heute: Ende der 1980er-Jahre wollte Stasi-Chef Erich Mielke mal keine Spieler seines BFC Dynamo mehr zur von Bernd Stange trainierten DDR-Nationalmannschaft schicken. „Kommt mir jetzt wieder bekannt vor“, stichelte Stange. „Da war doch was mit Hoeneß.“ Der Präsident des FC Bayern München hatte unlängst damit gedroht, keine Spieler für die deutsche Nationalmannschaft freizustellen, falls deren Torwart nicht Manuel Neuer heißen sollte.

An solchen Stellen applaudierte das Publikum am Montag. Stange lehnte sich dann zurück, gönnte sich und den Zuhörern eine kurze Pause von ein paar Sekunden, ehe er weiter erzählte. Es war, als sitze er zu Hause im Wohnzimmer, und nach wie vor bezeichnet der Wahl-Jenaer ja Bautzen auch als seine Heimat.

Daumen drücken für die Oberlausitz

In der Spreestadt leben Mutter Brigitta und Bruder Dietmar; selbstredend waren beide am Montag mit im Saal. Sie nickten wissend, als Bernd Stange die Stationen seiner Trainerlaufbahn Revue passieren ließ – von Jena und Leipzig über Dnipropetrowsk in der Ukraine und Perth in Australien bis Singapur und Syrien, seine vorerst letzte Station bis Januar dieses Jahres. Mal ging es ihm wie vielen Trainern und er wurde gefeuert, mal ging er von selbst, wenn er im jeweiligen Land keine Zukunft sah.

Mittlerweile stehen neun Länder auf der Trainer-Landkarte des gebürtigen Oberlausitzers, der am Montag immer wieder zwischen Vergangenheit und Gegenwart pendelte. Wie bei seinem Rückblick auf die kurze Zeit als Trainer bei Hertha BSC 1991/92. Die Berliner waren damals gerade aus der Bundesliga abgestiegen, die Spieler hatten den Verein in alle Richtungen verlassen. „Ich stand auf einmal ohne Mannschaft da. Aber das kennt Thomas Hentschel ja auch“, knüpfte er Blickkontakt zum Trainer von Landesligist Budissa Bautzen. Der Verein war in diesem Sommer aus der Regionalliga abgestiegen und startete seinen Neuaufbau zwei Klassen tiefer. „Ich hoffe, dass Budissa mal wieder höherklassig spielt. Aber ob Bautzen, Neugersdorf oder Bischofswerda – für den Fußball in der Oberlausitz sieht es derzeit nicht so gut aus, da kann ich nur die Daumen drücken.“

Harald Irmscher hat an der Seite von Bernd Stange schon in vielen Ländern gearbeitet. Zwischendurch verkaufte er auch mal 14 Jahre lang Fenster und Türen. „Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte“, sagte er am Montagabend.
Harald Irmscher hat an der Seite von Bernd Stange schon in vielen Ländern gearbeitet. Zwischendurch verkaufte er auch mal 14 Jahre lang Fenster und Türen. „Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte“, sagte er am Montagabend. © Steffen Unger

Wie es ist, wenn einem die Spieler ausgehen, hatte Stange zum ersten Mal zur Zeitenwende 1989/90 erlebt. „Da kam ein Anruf von Reiner Calmund, damals Manager von Bayer Leverkusen. Er fragte, wer sind denn Eure besten Spieler? Die wollen wir kaufen.“ Ulf Kirsten, Andreas Thom, Matthias Sammer und viele andere machten dann in der Bundesliga Karriere. Zu dieser Zeit gehörte Bernd Stange vorübergehend zum Trainerstab von Sachsenring Zwickau. Jeden Morgen erschienen wieder ein paar Spieler weniger zum Training – der Westen lockte mit mehr Geld.

Apropos Geld. Wie viel er denn zu DDR-Zeiten bekommen habe, wollte Brigitta Stange von Harald Irmscher wissen. 1964, in Zwickau, waren es im Monat 720 Mark. Später, in Jena, schon 925. „Das war damals viel Geld“, bekannte Irmscher und verschwieg auch Siegprämien nicht. Die konnten schon mal bei 2 000 DDR-Mark liegen, wenn die Nationalmannschaft gegen eine hoch dotierte Truppe aus dem Westen gewann. Insgesamt 41 Mal stand Harald Irmscher für die Nationalmannschaft auf dem Platz, darunter bei der Weltmeisterschaft 1974 in der Bundesrepublik. Nationalspieler war Bernd Stange nie, aber Trainer. Einmal hatte er die Qualifikation für ein großes Turnier geschafft – die DDR stand als Teilnehmer der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles fest. Auf dem Rückflug von einem Vorbereitungsspiel erfuhr die Mannschaft vom Olympia-Boykott der meisten Ostblock-Staaten. „Das war so sinnlos“, ärgert sich Stange noch heute.

Energie hat’s vorgemacht

Seine letzte Vereinsstation in Deutschland hieß 1993/94 VfB Leipzig. „Da kam bei einem Heimspiel in der Halbzeitpause der Präsident zu mir und sagte, Du wechselst jetzt diesen und jenen Spieler ein. Habe ich aber nicht gemacht – und gewonnen.“ Nach ein paar Niederlagen aber wurde er erwartungsgemäß entlassen. Den VfB Leipzig gibt es nicht mehr, der Verein heißt heute wieder 1. FC Lokomotive und spielt in der Regionalliga. „Die könnten ganz anders dastehen, wenn sie damals vernünftig gewirtschaftet hätten“, ist Stange überzeugt. „Energie Cottbus mit Eduard Geyer hat ab 1994 vorgemacht, wie’s geht.“