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Starsänger bricht Vorstellung in Dresden ab

Placido Domingo will seit Jahren in der Semperoper singen. Nun wurde er dreimal für Verdis „Nabucco“ gebucht. Die Karten kosten bis 210 Euro. Doch dann ...

Von Bernd Klempnow
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Placido Domingo in der Semperoper beim Zornesauftritt als babylonischer König Nabucco und Feldherr à la Che Guevara, der die Hebräer zermalmen will. Es kam anders: Ab der Pause übernahm ein Kollegen vom Haus den Gesangspart.
Placido Domingo in der Semperoper beim Zornesauftritt als babylonischer König Nabucco und Feldherr à la Che Guevara, der die Hebräer zermalmen will. Es kam anders: Ab der Pause übernahm ein Kollegen vom Haus den Gesangspart. © Daniel Koch

Dieses enttäuschte Raunen ist unverkennbar. Wann immer ein Theaterleiter sich vor Vorstellungsbeginn an das Publikum wendet, es bedeutet nichts Gutes. Meist muss er Interpreten absagen, Krankheiten verkünden oder Ersatzsänger offerieren. Und so raunte das Publikum am Mittwoch in der Semperoper, als Intendant Peter Theiler vortrat. 

Der Star des Abends, Plácido Domingo, bitte um Verständnis, er sei von einer Erkältung noch nicht gänzlich genesen, würde aber singen. „Ich bin aber sicher, dass wir das kaum hören werden“, gab sich Theiler zuversichtlich. Er wusste, das Haus ist ausverkauft. Fans des spanischen Stars aus der ganzen Welt waren nach Dresden gereist. Dreimal hatte Theiler die Sängerlegende für die Hauptrolle in Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“ gewinnen können. Die Karten kosten bis zu 210 Euro, sind gut doppelt so teuer wie Karten für andere „Nabucco“-Vorstellungen.

Und tatsächlich schien Domingo gut drauf zu sein. Seine Stimme hatte Kraft, war lyrisch zugleich. Er spielte den brutalen, selbstherrlichen Kriegsherren Nabucco, der sich zum Gott erhebt und durch einen Blitzschlag wahnsinnig wird, souverän. In der Pause waren die Zuschauer überwiegend angetan von ihm, mit wie viel Energie Domingo an dem mit 35 Grad Celsius ungewöhnlich heißen Tag in Dresden auf der Bühne bestand. Er, der als einer der „Drei Tenöre“ einst Fußballstadien für die Oper begeisterte, ist ein Publikumsliebling.

So schwärmten auch Damen wie Herren nun im Semperbau von seiner unverkennbaren Stimme. Die ist warm und tenoral-hell geblieben, obwohl der ehemalige Tenor seit zehn Jahren Bariton-Partien singt und darin als Simon Boccanegra oder Nabucco gefeiert wird. Weil auch die anderen Rollen ideal besetzt waren, die Staatskapelle und der Chor in Bestform, hätte das ein großer Abend werden können. Denn ein vergleichbar-charismatischer wie populärer Sänger ist seit Theo Adam in dem Haus nicht mehr aufgetreten. Alle erhofften sich ein Fest, ähnlich den umjubelten Auftritten von Anna Netrebko in Richard Wagners „Lohengrin“ vor drei Jahren in Dresden.

Entsprechend erwartungsfroh begab sich das Publikum in den Saal. Die Türen wurden geschlossen, die Kapelle wartete im Graben – nur der Dirigent kam nicht. Nach langem Warten betrat Intendant Theiler den Saal. Raunen! Er verkündete, dass Domingo auf ärztliches Anraten hin lieber nicht weitersingen solle. „Das kann passieren, schließlich wird Theater von Menschen gemacht. Und Theater spielen trotzdem.“ Ensemblemitglied Markus Marquardt werde den Nabucco vom Pult an der Seite aus singen, der Spielleiter der Produktion Bernd Gierke agiere im Kostüm auf der Bühne. Verständnisvoller Beifall.

So sah es in der zweiten Halbzeit von Nabucco aus. Ensemblemitglied Markus Marquardt sang den Nabucco-Part vom Pult an der Seite aus. Der Spielleiter der Produktion Bernd Gierke agiere im Kostüm auf der Bühne. 
So sah es in der zweiten Halbzeit von Nabucco aus. Ensemblemitglied Markus Marquardt sang den Nabucco-Part vom Pult an der Seite aus. Der Spielleiter der Produktion Bernd Gierke agiere im Kostüm auf der Bühne.  © Daniel Koch

Und so erlebte das Publikum eine Vorstellung, die im Gedächtnis bleiben wird. Dank der überragenden Sopranistin Saioa Hernández als giftige, herrschsüchtige Abigaille, die lyrisch psychologische Stärken ausspielte, zugleich die Attacke in Höhe und Tiefe hatte. Besonders wurde der Abend dank der Ersatz-Nabuccos – die Stimme kam von links, der Spielende im Bühnenzentrum blieb stumm –, dank der Unterstützung der Kollegen auf der Bühne und dank eines exemplarisch-fürsorglichen Dirigats von Omer Meir Wellber. Er trug Marquardt förmlich auf den Händen. Immer wieder gab es Szenenapplaus, am Ende viel Beifall und sogar Blumensträuße von einem Fan aus der ersten Reihe.

Immer wieder passiert es, dass Künstler krank werden oder angeschlagen die Vorstellung trotzdem durchstehen wollen. Der Startenor Rolando Villazón hatte teilweise jahrelange Phasen, da musste er wegen gesundheitlicher Probleme viele Auftritte absagen. Von Domingo ist man das eigentlich nicht gewöhnt. Zumal er seinem Debüt in dem Dresdner Theater seit Jahren entgegenfieberte. Schon 2003 sagte er im Gespräch mit der Sächsischen Zeitung: „Die Semperoper ist das einzige der berühmten schönen Häuser, in dem ich noch nicht aufgetreten bin. Vielleicht klappt’s bald!“

Freilich wundert schon, was sich der immerhin 78-Jährige für ein Pensum zutraut. Der Blick auf den Juni besagt: Am Mittwoch war - die verkürzte - Vorstellung in Dresden.  Am Freitag hat er in Madrid ein Konzert, am Sonntag wäre wieder Dresden mit „Nabucco“ dran. Am nächsten Mittwoch folgt dann ein Konzert in Graz und am darauffolgenden Sonnabend wieder „Nabucco“ in Dresden. Bislang geht die Semperopern-Intendanz davon aus, dass „Herr Domingo die beiden Vorstellungen singen wird“. Mal schauen!

Für die Vorstellung mit Domingo am 9. Juni gibt es nur noch wenige Restkarten, Tickets von 130 bis 210 Euro, Kartentelefon 0351 4911705