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Stasi im Döbelner Stadtrat kein Thema mehr

Das Gremium hat gegen eine Überprüfung gestimmt. Die Akteure der Wende finden das nicht gut.

Von Jens Hoyer
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Das Stasi-Unterlagen-Gesetz eröffnet die Möglichkeiten der Überprüfung von Personen bis zum Jahr 2030.
Das Stasi-Unterlagen-Gesetz eröffnet die Möglichkeiten der Überprüfung von Personen bis zum Jahr 2030. ©  dpa / Symbolbild

Döbeln. Drei Jahrzehnte nach der Wende hat die dunkle Strahlkraft des Ministeriums für Staatssicherheit stark an Wirkung verloren. In den 1990er Jahren war es völlig normal, dass alle gewählten Politiker in den Stadträten auf Tätigkeit beim Ministerium für Staatssicherheit überprüft wurden. In Döbeln hält man das nicht mehr für notwendig. 

Am Donnerstag hat der Stadtrat mit großer Mehrheit gegen einen entsprechenden Antrag der Fraktion SPD/Grüne/Linke gestimmt. Begründung der Antragsteller: 2004 hatte es zum vorerst letzten Mal eine Überprüfung gegeben. Damit seien eine Reihe von Stadträte gewählt worden, die noch nie auf Stasi-Tätigkeit durchleuchtet wurden.

„Mein Testballon war erfolgreich. Jetzt weiß ich, wie die Leute dazu stehen. Sie beschäftigen sich nicht gern mit der Vergangenheit“, sagte Stadtrat Berno Ploß (Grüne), einer der Ideengeber des Antrags, nach der Sitzung etwas sarkastisch. 

„Ich habe Anfang 1990 den Runden Tisch bei uns in Göda moderiert. Ich fühle mich dem Bekenntnis von damals immer noch verpflichtet. Die Überprüfung sollte ein normaler Akt der politischen Hygiene sein. So wie am Morgen das Zähneputzen.“

Eine ganz ähnliche Meinung vertritt ein führender Kopf der Bürgerbewegung in Döbeln. Andreas Porstmann hatte mit anderen seinerzeit die Stasi-Zentrale an der Reichensteinstraße aufgelöst. „Ja, so eine Überprüfung der Stadträte auf Stasi-Tätigkeit braucht man noch insofern, dass diese Leute heute die Stirn haben, sich aufstellen und wählen zu lassen.“ Porstmann hatte selbst bis 1995 dem Döbelner Stadtrat als Mitglied der SPD angehört.

Die CDU als stärkste Fraktion hatte fast geschlossen gegen den Antrag gestimmt. Fraktionschef Ullrich Kuhn begründet das mit den 30 Jahren, die seit der Wende vergangen sind. Eine Notwendigkeit sieht er nicht, obwohl jetzt schon klar ist, dass zumindest ein Mitglied des Stadtrats inoffizieller Mitarbeiter der Stasi war. „Wir hatten vor 16 Jahren schon einmal einen ähnlichen Fall. Der Stadtrat hat das damals nicht weiterverfolgt, und das war vernünftig. Heute handhaben wir das genauso.“

Schon seit Ende 1992 ist bekannt, dass Holger Pietzsch – damals Geschäftsführer der Stadtwerke – als IM für die Stasi gearbeitet hatte. Pietzsch sitzt seit August vergangenen Jahres für die AfD im Stadtrat. Er stimmte mit seinen Fraktionskollegen gegen den Antrag auf Stasi-Überprüfung.

Eine Überprüfung auf Stasi-Tätigkeit würde zwar im Stadtrat ausgewertet, eventuell ein Ausschuss dazu gebildet. Konsequenzen habe das, anders als für Mitarbeiter der Verwaltung, für einen gewählten Stadtrat aber nicht, sagte Oberbürgermeister Sven Liebhauser.

Auch bei den öffentlichen Verwaltungen ist die Überprüfung auf Stasitätigkeit mittlerweile keine Routine mehr. Neu eingestellte Mitarbeiter werden heute nicht mehr überprüft, es sei denn, dass sich ein Verdacht ergibt, sagte Stadtsprecher Thomas Mettcher.

Ähnlich hält es auch das Landratsamt Mittelsachsen. Pauschale Überprüfungen von Mitarbeitern finden nicht statt, antwortet Pressereferentin Cornelia Kluge auf Anfrage. „Eine Überprüfung wird eingeleitet, wenn rechtliche Vorgaben dies verlangen. Diese Überprüfung kann bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst, die eine leitende Funktion ausüben, beantragt werden oder wenn Tatsachen den Verdacht einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst rechtfertigen.“ Auch der aktuelle Kreistag hatte auf eine Überprüfung seiner Mitglieder auf Stasi-Tätigkeit verzichtet.

Bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, kurz Jahn-Behörde, ist die Anzahl der Anträge auf Überprüfung in den vergangenen Jahren deutlich rückläufig. Im vorigen Jahr waren dort rund 10.200 Anträge auf Überprüfung von Personen eingegangen. 2012 waren es noch 17.000.

Politische Mandatsträger wurden von der Stasi-Behörde im vergangenen Jahr in rund 520 Fällen überprüft, wobei diese Zahl durch die Wahlzyklen stark schwankt. Auch hier ist ein Vergleich angebracht: Nach den Kommunalwahlen 1993/94 gingen bei der Behörde allein 14.000 Anträge auf Überprüfung von Mandatsträgern ein. Rund 1,6 Millionen Ersuchen öffentlicher Stellen wurden bis Mai 1995 insgesamt gestellt.

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