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Stasimethoden im Landratsamt?

Eine Mitarbeiterin des Jobcenters, deren Vater Stasi-Offizier war, soll einen ehemaligen politischen Häftling schikaniert haben.

Von Jürgen Müller
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Der Angeklagte beschuldigte eine Mitarbeiterin des Jobcenters, Stasimethoden anzuwenden.
Der Angeklagte beschuldigte eine Mitarbeiterin des Jobcenters, Stasimethoden anzuwenden. © Jens Kalaene/dpa (Symbolbild)

Dresden/Landkreis Meißen. Der damals 22-Jährige hat im März 1989 die Nase voll. Er begehrt auf, schreibt einen Brief an den Staatsrat, beschwert sich über die Zustände in der DDR. Ob der Brief den Adressaten jemals erreicht hat, ist unwahrscheinlich. Gelesen haben ihn aber andere. Und so wird der junge Mann in den Rat des Kreises Riesa einbestellt – zur "Klärung eines Sachverhaltes". 

Doch schon am Eingang wird er von sechs Stasileuten empfangen. Die nehmen ihn mit in die MfS-Dienststelle. Dort wird er wegen des Schreibens in die Mangel genommen. Nach Hause darf er nicht zurück, muss für sechs Wochen nach Dresden in Stasihaft. Dann kommt es zum Prozess am Bezirksgericht Dresden. Wegen öffentlicher Herabwürdigung des Staates wird er zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Strafe wird sofort vollstreckt. Bis zur ersten Amnestie in der DDR im November 1989 sitzt der gebürtiger Riesaer im Gefängnis. Später wird er rehabilitiert und entschädigt, erhält für die zu Unrecht verhängte Haft eine kleine Rente.    

Schikane wegen Vergangenheit?

Fast auf den Tag genau 31 Jahre später sitzt der Mann erneut in dem Gerichtsgebäude, in dem er einst verurteilt wurde. Und wieder kämpft er für sein Recht. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters Großenhain des Landratsamtes Meißen hat ihn nach seiner Ansicht schikaniert und Unrecht angetan. So hat sie ihm seine Entschädigungsrente bei der Berechnung von Hartz IV angerechnet, mit der Folge, dass er ein Jahr lang keine Leistungen bekam. Das ist gesetzwidrig. Eine solche Rente darf nicht mit angerechnet werden. Das ihm vorenthaltene Geld wurde inzwischen nachgezahlt.

"Nicht nur ich, sondern auch meine minderjährigen Kinder wurden sanktioniert. Ich hatte dadurch auch keine Krankenversicherung mehr, obwohl ich krank war. Mir wurde unter Strafe angedroht, Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch zu nehmen", sagt er. Wegen unterlassener Hilfeleistung und einer Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit hat er Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren aber eingestellt. 

Den Grund für die Schikanen und Ungerechtigkeiten der Jobcenter-Mitarbeiterin meint er zu kennen. Denn der Vater der Mitarbeiterin, die im Jobcenter für ihn zuständig ist, war ein Offizier der Staatssicherheit. "Sie hasst mich, weil ich ein politischer Häftling in der DDR war, wollte mir sogar meine Entschädigung für die erlittene Haft abspenstig machen", sagt er. Und legt Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid des Jobcenters ein. Darin schreibt er: "Der Bescheid erging rechtswidrig und in maßgeblichem Auftrag der Tochter des DDR-Stasioffiziers (es folgt der Name). Diese hat ein persönliches Interesse, mir als bekanntem inhaftierten Gegner des DDR-Stasiregimes wirtschaftlichen und persönlichen Schaden zuzufügen." Außerdem schreibt er von "unzähligen Maßnahmen der konspirativen Überwachung und Bespitzelung, der Aktenmanipulation, unzähligen rechtswidrigen Bescheiden und der illegalen Datenspeicherung gegen mich und meine Angehörigen."  

Per Beschluss hatte das Oberlandesgericht Dresden das Urteil des Landgerichtes aufgehoben. Eine andere Kammer des Landgerichtes beschäftigte sich nun erneut mit dem Fall.
Per Beschluss hatte das Oberlandesgericht Dresden das Urteil des Landgerichtes aufgehoben. Eine andere Kammer des Landgerichtes beschäftigte sich nun erneut mit dem Fall. © Repro: SZ

Die Mitarbeiterin des Jobcenters zeigt ihn daraufhin wegen Verleumdung an. Und nicht nur das. Zeitgleich erhält er vom Jobcenter zwei Rechnungen. Es soll rund 5.000 Euro für zu Unrecht erhaltene Leistungen zurückzahlen. Doch die hat er gar nicht erhalten. Tatsächlich nur ein Fehler des Jobcenters oder ein Einschüchterungsversuch, wie der Angeklagte vermutet? In seiner Verzweiflung hat er sich auch an den Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen gewandt. Von dort kommt keine Hilfe. "Zu Ihren Schilderungen über die Bearbeitung Ihrer Anträge durch das Jobcenter kann ich mich nicht äußern. Weder sind mir die hierfür einschlägigen Vorschriften bekannt, noch ist die Stasi-Unterlagenbehörde befugt, bei Verstößen einzugreifen", heißt es in dem Antwortschreiben.

Seine Vermutung, in dem Jobcenter seien ehemalige Mitarbeiter des MfS in leitender Position tätig, könne man weder bestätigen noch ausschließen. Wie der Arbeitgeber mit Auskünften der Stasi-Unterlagen-Behörde umgehe, liege in dessen eigener Verantwortung. Ende 2006 sei eine weit gefasste Regelung ausgelaufen, die beispielsweise die Überprüfung aller Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes gestattete. Die Feststellung einer früheren Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst folge nicht zwingend eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so die Stasi-Unterlagen-Behörde. 

Enttäuschend für den Mann ist auch das Schreiben von Lutz Rathenow, dem Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur: "Für die aktuellen Fragen des Job-Centers und andere aktuelle Probleme sind wir nicht zuständig. ... Bitte teilen Sie mir einmal mit, welche Hinweise Sie auf eine Stasi-Mitarbeit der Mitarbeiter des Landratsamtes haben. Ansonsten wünsche ich Ihnen alles Bestmögliche", schreibt er.   

Oberlandesgericht erkennt Fehler

Aufgrund der Strafanzeige erlässt das Amtsgericht Riesa einen Strafbefehl. Der Mann soll wegen Verleumdung der Jobcenter-Mitarbeiterin 1.200 Euro zahlen. Doch er geht in Einspruch. Daraufhin kommt es zur Verhandlung in Riesa. Es befindet ihn der Beleidigung für schuldig, verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 600 Euro. Der Mann legt nun Berufung ein, die Sache landet vor dem Landgericht Dresden. Die Berufung wird zurückgewiesen, das Urteil jedoch abgeändert, die Geldstrafe auf 400 Euro reduziert. Doch der Angeklagte ist als früherer Judoka das Kämpfen gewöhnt. Er gibt den Kampf nicht verloren, geht gegen das Urteil in Revision. Und tatsächlich: Das Oberlandesgericht Dresden erkennt Rechtsfehler, hebt das Urteil auf und verweist die Sache zurück an das Landgericht Dresden. Eine andere Kammer muss sich nun damit beschäftigen.  

Der Vorsitzende Richter Jürgen Scheuring versucht von Anfang an, den Ball flach zu halten. "Dass der Vater der Mitarbeiterin Stasi-Offizier war, das dürfen Sie sagen, auch im Widerspruchsbescheid", stellt er klar. In dem Schreiben des Angeklagten seien jedoch einige Sachen "verquer". "Ich verstehe Ihren Ärger. Aber dass 2018 das Amt mit Methoden der Diversion und der konspirativen Überwachung gearbeitet haben soll, finde ich schief", sagt der Richter. Es fänden sich auch keinerlei Hinweise, dass das Amt gezielt Methoden angewendet habe, um ihm zu schaden. Er sehe in dem Schreiben aber keine Verleumdung, keine Beleidigung. Der Vorsitzende Richter macht den Vorschlag, das Verfahren wegen geringer Schuld ohne Auflagen einzustellen. Alle Kosten, auch die des Angeklagten, würden der Staatskasse auferlegt. Der Angeklagte habe im Kampf um sein Recht nur geringe Schuld auf sich geladen. Es bestehe kein öffentliches Interesse mehr an einer Verfolgung, begründet er. 

Der Angeklagte tut sich zunächst schwer. Er hatte auf einen Freispruch gehofft. "Mir ist daran gelegen, Rechtsfrieden herzustellen. Dass wir wegen dieser Sache zum vierten Mal vor Gericht sitzen, zeigt einerseits, dass der Rechtsstaat funktioniert. Andererseits bin ich traurig, dass nicht gleich das Amtsgericht Riesa einen solchen Vorschlag gemacht hat", sagt er. Und stimmt schließlich wie auch die Staatsanwältin dieser Lösung zu. So können beide Seiten irgendwie ihr Gesicht wahren.  Im Sport wäre es ein Unentschieden.  Es gibt keinen Gewinner, aber auch keinen Verlierer.

So endet das Verfahren nach der vierten Verhandlung ohne Urteil und ist nun endgültig abgeschlossen. Denn gegen eine Einstellung sind keine Rechtsmittel möglich. 

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