Von Katja Solbrig
Zehn vor zwei fühlt man sich in Hof der Kelterei Sell wie im Urlaubsstau: Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos, geöffnete Kofferraumklappen, Menschen in Freizeitkleidung. Sells Hof ist keine Autobahn, in den Autos stapeln sich nicht Koffer, sondern leere Flaschen und volle Obstkörbe, und der Stau hat sich zehn nach zwei wieder aufgelöst.
Dabei öffnet Torsten Sell offiziell genau 14 Uhr die Tore seiner Kelterei für die Privatkunden. Doch vorgestern hat die Sauerkirsch-Saison begonnen, und körbeweise schleppen die Leute ihre Ernte nach Coswig. „Wir kommen schon seit Jahren“, sagt eine Dresdnerin, die nach den Kirschen nun ihre leeren Flaschen abgibt. Um sie im Herbst gegen volle zu tauschen. Lohntausch heißt das Prinzip. Wer die eigenen Früchte zum Vermosten in eine Kelterei bringt, der kann später günstig Säfte aller angebotenen Geschmacksrichtungen kaufen.
Die Äpfel mit den Bäumen fortgeschwommen
2002 war ein schlechtes Saftjahr für die drei Kelterer des Landkreises. „Letzten Sommer sind uns die Äpfel mit den Bäumen fortgeschwommen“, sagt Andreas Biedermann, Moster in Mauna. Und nachgepflanzt hätten die Kleingärtner vor allem Ziersträucher. „Die blühen zwar schön, aber bringen keinen Nutzen.“ Sagt Biedermann, der den Mitgliedern der Spaßgesellschaft nicht zutraut, dass sie sich die Mühe machen, geduldig Johannisbeeren vom Strauch zu klauben.
Vor dem Hochwasser hatten die Sauerkirschbäume mit Monilia-Spitzendürre zu kämpfen. Die Kirschkrankheit ließ die Erträge einbrechen. „In diesem Jahr konnte sich der Erreger-Pilz wegen der Trockenheit im Juni nicht ausbreiten“, sagt Torsten Sell. Er kümmert sich um die Bäume im Garten seiner Schwiegereltern. Gegen Monilia hilft nur das Ausschneiden der kranken Äste. „Die Nachbarn schauen genauer hin, die wissen ja, wo ich arbeite.“ Da ist der Fruchtstand eine Frage der Berufsehre.
Die Natur und ihre Launen akzeptieren
Zu laut wollen die Kelterer nicht lamentieren, aber sie schauen doch sorgenvoll an die Bäume. „Das Obst ist in diesem Jahr relativ klein“, findet Frank Wustlich von der Kelterei in Niederau. Was den Saftproduzenten wie ihren Kollegen in der Landwirtschaft fehlt, ist Regen. Natürlich nicht jetzt im Moment, das würde die Sauerkirschen kaputt machen, aber ein bisschen später, für die Äpfel. Ein gesunder Mix aus Regen und Sonne wäre gut. Alle drei akzeptieren, dass sie mit der Natur und ihren Launen leben müssen.
Torsten Sell findet sogar einen Vorteil an einem schlechten Erntejahr: „Dann sind die Keller leer, und die Leute wollen sich wieder einen Vorrat anlegen.“
Das Saftjahr beginnt zu Pfingsten mit den Erdbeeren und geht bis Weihnachten. „Im Dezember haben wir noch mal eine Spitzenzeit, weil wir auch Glühwein herstellen“, sagt Sell. Die anstrengendste Zeit ist die Apfelernte im August und September. Dann stehen die Autos wieder Stoßstange an Stoßstange in Sells Hof. Wenn denn der Mix aus Regen und Sonne stimmen wird.