Stauwagen reinigt Dresdens Unterwelt

Dresden. Orange leuchtet das Hochdrucksaug- und Spülfahrzeug, das an der Tolkewitzer Straße gegenüber vom Johannsfriedhof steht. Damit rollen Nico Lißner und seine Kollegen von der Stadtentwässerung jetzt bis zu zweimal wöchentlich hier an. Derzeit mit Schutzmaske vorm Gesicht, wie es bei dem Unternehmen in der Coronakrise vorgeschrieben ist. Darunter verläuft Dresdens größter Hauptkanal, der knapp 17 Kilometer lange Altstädter Abfangkanal. Und der muss regelmäßig gereinigt werden, damit das Abwasser auch weiter gut abfließen kann.
Während bei anderen Kanälen Fahrzeuge mit einem acht oder zehn Kubikmeter fassenden Tank ausreichen, ist hier das große mit dem 13-Kubikmeter-Kessel nötig. Zwar beginnt der Abfangkanal, der bis zum Klärwerk führt, in Kleinzschachwitz. Doch durch ihn fließen seit 2006 auch die Abwässer aus dem Gebiet Pirna und Heidenau.

Energie des Abwassers wird umweltfreundlich genutzt
Damit die großen Kanäle sauber bleiben, werden besondere Geräte eingesetzt - die selbst fahrenden Stauwagen. Und das schon seit Ende des 19. Jahrhunderts. Die Wagen haben ein Schild, das sich dem Kanal anpasst. Zwischen Schild und Sohle bleibt nur ein zehn Zentimeter großer Spalt. Dadurch kann die Energie des Wassers genutzt werden. Und dies ganz umweltfreundlich.

Das Abwasser staut sich dahinter und schiebt den Wagen nach vorn. Es fließt nur durch den kleinen Spalt darunter, wirbelt die Schmutz-Ablagerungen vorm Wagen auf und schwemmt sie fort. „Der Stauwagen spült den Dreck sozusagen vor sich her“, erläutert Vorarbeiter Sebastian Härtel das Prinzip. Der 30-jährige kümmert sich mit seinen Kollegen darum, dass am großen Schacht des neuen Regenüberlauf-Bauwerkes oberhalb vom Trollgarten am Elbufer aus dem Abfangkanal geholt wird.

Tunnelbau beseitigt Tolkewitzer Nadelöhr im Kanal
Die diesjährige Tour des Stauwagens hatte Ende Januar an der Gasteiner Straße in Laubegast begonnen. „Mit dem Kranauto war er eingehoben worden“, sagt Härtel. Gibt es sehr große Ablagerungen im Kanal, kommt der Stauwagen nur drei Meter am Tag voran. Ist hingegen wenig Schmutz in der Betonröhre, können es 50 bis 100 Meter sein. Aber regelmäßig müssen Härtel und seine Kollegen die aufgewirbelten Dreckberge absaugen, die vor allem aus Sand bestehen.
Besonders seit März muss viel Dreck aus dem Abfangkanal geholt werden. Denn die Stadtentwässerung hatte unter der Kreuzung Tolkewitzer/Wehlener Straße ein Nadelöhr im Abfangkanal beseitigt. Ist die Röhre sonst zwei Meter hoch, so maß sie dort nur 1,5 Meter und verlief zudem in einem rechtwinkligen Bogen. Deshalb wurde bis Januar dieses Jahres ein 46 Meter langer Tunnel für den Kanal unter der Kreuzung gebaut.
Der Bau dieses Stollens hatte 2,6 Millionen Euro gekostet. Vor dem einstigen Nadelöhr hatte sich viel Dreck abgelagert. Denn zuvor konnte der Stauwagen wegen des Bogens immer erst dahinter eingehoben werden, nennt Härtel den Grund. „Da war auf einer Länge von drei Kilometern – trotz der regelmäßigen Reinigung mit dem Saug- und Spülfahrzeug – viel Dreck im Kanal liegengeblieben. Das ist jetzt die erste Grundreinigung.“
Dreck wird stundenlang aus Kanal abgesaugt
Die SZ steigt mit Härtel in den Kanal hinab. Etwa 150 Meter geht es in Richtung der Kreuzung vorm Wasserwerk. Stapfen wir anfangs noch durch eine mäßige Sandschicht, türmt sie sich kurz vorm Stauwagen bis auf einen halben Meter hinauf. Härtel hebt Steine vorm Stauwagen auf und zeigt sie. Offenbar handelt es sich um Asphaltbrocken. „Die müssen wir später immer mit der Hand rausholen. Denn durch die Zehn-Zentimeter-Leitung des Saugfahrzeugs passen sie nicht“, sagt er. Der Vorarbeiter ruckelt am Stauwagen, der dann einen Meter langsam nach vorn rutscht. Denn dort ist der Kanalboden schon freigespült.

Zurück geht es zum Regenüberlaufbecken, wo Härtel die Saugtülle als Spitze an den Schlauch anschließt und Fahrzeugführer Lißner ein Zeichen gibt. Es geht los. Der Kompressor dröhnt. Dadurch kommt Druckluft in den Schlauch und hilft beim Absaugen nach. Dieses Mal dauert das nur etwa zwei Stunden. Denn erst drei Tage zuvor war das Saugfahrzeug schon hier, als die Aktion drei Stunden dauerte. „In den letzten zwei Monaten haben wir hier schon fast 100 Kubikmeter rausgeholt“, erklärt Härtel. Doch es wird noch viel mehr. Mindestens eine Woche wird es dauern, bis der Stauwagen das Tolkewitzer Regenüberlaufbauwerk erreicht hat.

Danach geht die Tour des Stauwagens durch die Abwasser-Unterwelt jedoch noch bis zum Kanalnetzstützpunkt neben der Yenidze weiter. „Dafür braucht er wahrscheinlich bis Juni“, schätzt Härtel. Dort wird der Wagen mit dem Kran ausgehoben und hat erst einmal eine Pause bis zum nächsten Einsatz.