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Steif, schlaff und falsch ernährt

Gesundheit. Kinder im Landkreis leiden unterBewegungsmangel und essen oft das Falsche.

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Von Katja Schreiber

Sie bewegt ihre elf Jahre alten Massen ins Eiscafe und bestellt zwei Jumbobecher mit extra viel Sahne. Sie ist jung. Und sie ist fett. Die elfjährige Janine aus Stolpen (Name geändert) leidet darunter. Und auch die vielen gut gemeinten Worte aus ihrer Verwandtschaft, wie „Du nimmst schon noch ab“, trösten das Mädchen nicht. Allein vor den Fernsehkameras einschlägiger Sendungen könnte sie beliebt sein. Aber nicht nur TV-Reportagen behandeln die um sich greifende Fresslust. Auch Krankenkassen, wie die AOK, verbreiten die erschreckende Botschaft: Jedes fünfte Kind in Deutschland ist zu dick, Tendenz steigend!

Wird also auch die Sächsische Schweiz zunehmend von kleinen Wuchtbrummen überrollt? Janine ist ganz sicher nicht das einzige Beispiel dafür. Aber so schlimm sei es nun auch wieder nicht, ist von der Schulärztin Dr. Brigitte Gerber zu erfahren. „Absolut übertrieben“, sagt sie und präsentiert einige Zahlen. Im Einschulungsjahr 2000 hatten im Landkreis 7,1 Prozent der Jüngsten Übergewicht. Drei Jahre später waren es 5,3 Prozent. Mit zunehmendem Alter steigen dann die Kilos. In der zweiten Klasse bringt schon etwa jedes zehnte Kind der Sächsischen Schweiz zu viel auf die Waage. In den fünften Klassen sind es sogar rund 15 Prozent. Das geht aus der Statistik des Landratsamtes hervor.

Trotzdem hat auch eine Vielzahl von Kindern im Landkreis körperliche Probleme, die nicht ausschließlich auf ihr Gewicht zurückzuführen sind, wie Experten bemerken. Besonders problematisch ist der Bewegungsmangel, der sich bereits bei Untersuchungen in neunten Klassen verstärkt in Hüft- und Rückenproblemen widerspiegelt. Birgit Wehner vom Sportverein Lok Pirna kann ein trauriges Lied davon singen: „Die Kinder schaffen es heute kaum noch, auf einem Bein zu stehen und dabei einen Arm zu heben“, erklärt die Leiterin des Vorschulturnens beim Sportverein. „Die Fähigkeit, einen Ball zu prellen, hat dramatisch nachgelassen. Bei Streckungsübungen fällt auf, wie steif die Vier- bis Sechsjährigen sind. Außerdem sind sie schnell kaputt und viel ängstlicher als früher.“ Angesichts dieser Aufzählung sind dicke Kinder nicht ihr größtes Problem. „Die glühen zwar wie Pumpelrosen, wenn sie durch die Halle jagen. Aber sie sind mit viel Begeisterung dabei“, erklärt Wehner. Auf der anderen Seite will sie nicht verharmlosen: „Wenn der Arzt Alarm schlägt, weil ein Kind zehn Kilo abnehmen muss, ist das natürlich äußerst spät“, warnt sie.

Neben der körperlichen Aktivität lässt aber offenbar auch die Ernährung zu wünschen übrig, wie Alies Domaschke vom Familienzentrum BBB in Neustadt feststellt: „Viele Kinder nehmen nicht an der Schulspeisung teil. Statt Mittag zu essen, stopfen sie sich am Nachmittag mit Süßigkeiten voll.“ Aus dieser Not wurden Kochkurse geboren. Sie werden in den Ferien angeboten, damit sich die Kinder selbst etwas zubereiten können.

Magersucht nimmt auch zu

„In der Regel essen die Kinder aber bei den Müttern mit“, erklärt Christine Harzsch von der AOK. Zehn Wochen lang richtet sich die Aktion Pfundskur zurzeit mit Shows, Bewegungs- und Ernährungskursen an Erwachsene. Denn gerade die Eltern müssten darauf achten, dass sich ihre Sprösslinge nicht selbst überfüttern.

Hat das Übergewicht dagegen einen seelischen Ursprung, ist die Erziehungs- und Familienberatung in Pirna beispielsweise ein möglicher Ansprechpartner. „Wir schauen, warum sich das Kind einen Panzer anessen muss“, erklärt Iris Maier, die den psychischen Ursachen zu Leibe rückt. Fettleibige Kinder werden von ihr außerdem zur Kur geschickt. „Das fällt ja schon in den Suchtbereich“, erklärt Maier.

Noch häufiger als Übergewicht begegnet ihr allerdings Magersucht und Bulimie. Und auch die Schulärztin hat noch eine wenig angenehme Überraschung parat: „Mindestens ebenso viele Kinder haben bei der Einschulung nicht Über- sondern Untergewicht.“