Von Ralph Schermann
Ein wenig bleibt übrig von jenem Viktoriagarten, der 2000 entstand. Ein Schrank der früheren Theke, ein paar Stühle, der neu abzudichtende Springbrunnen vor dem Haus. Und der große Schriftzug an der Fassade der Promenadenstraße 55. Der neue Besitzer weiß, dass der Name Viktoriagarten in Görlitz ein Begriff ist. „Geschichte sollte man nicht verdrängen“, sagt Volker Burgmann. Der 59-Jährige ist Gesellschafter der Aktiva-JHL-Steuerberatungs- und Treuhandgesellschaft. Und der Viktoriagarten ist nach Gaststätten-, Schul- und Verkaufsstellen-Zeiten nun ein Bürohaus.
Kaum noch etwas erinnert an das beschauliche Café. Vielleicht ist das auch besser so, denn bislang sind alle Nachwende-Gastronomen an dem Objekt gescheitert. Nun wurde ein neuer Mittelgang eingezogen, hinter Trennwänden entstanden Büros für die 14 Mitarbeiter, dazu gesellt sich viel Fläche für Beratungs-, Technik- und Archivräume, und die Leitung der Gesellschaft fand Platz im einstigen Kaminzimmer – Kamin inklusive. Seit Dienstag arbeitet die Aktiva in Biesnitz und hat dafür den alten Standort am Postplatz 11 verlassen. Dort häuften sich für den Geschäftsmann die Probleme: „Es gibt immer weniger Parkplätze für unsere Mandanten, und nach den jetzigen neuen Postplatz-Plänen der Stadtverwaltung sollen es nochmal weniger werden“, schimpft Volker Burgmann und nennt noch einen weiteren Grund: „Es ist nicht mehr zumutbar, dass wir in der Stadtmitte Jahr für Jahr viel Geld in DSL-Anschlüsse investieren müssen.“ Den Viktoriagarten hatte Burgmann direkt vor Augen, denn wenn der Dauerpendler nicht zu Hause in Hagen weilt, wohnt er in Biesnitz. Als ihm der Postplatz-Ärger zu viel wurde, sah er sich den Viktoriagarten aus dem Blickwinkel seines Bürobedarfs an, war begeistert und kaufte das Grundstück. Damit beendete der Privatinvestor das lange Ringen um eine der bekanntesten Biesnitzer Immobilien. Nach Zwangsversteigerung war 2009 ein Käufer aus Luxemburg für 677 000 Euro Eigentümer des 2 178 Quadratmeter umfassenden Geländes geworden, spekulierte auf einen höheren Weiterverkaufswert, erreichte aber doch nur langen Leerstand. Man war froh, als Volker Burgmann sich zum Erwerb entschloss.
Schon am ersten Arbeitstag zeigten sich Niederlassungsleiterin Kathrin Seiffert und Büroleiterin Kerstin Wecke vom neuen Standort beeindruckt. Mandanten finden problemlos einen Parkplatz, haben helle und größere Räume für ihren Besuch, die Lage mit einer kleinen Grünfläche vor dem Eingang wirkt entspannend. Die Haltestelle der Straßenbahn liegt direkt davor. Im Haus selbst stört sich kein Nutzer gegenseitig, die sechs Wohnungen im Obergeschoss sind alle vermietet, ab August eröffnet eine Rechtsanwältin eine Praxis, der Büroservice Mazur ist schon dabei. In den nächsten Jahren könnten nach einer seitlichen Öffnung Teile der bisherigen Keller-Diskothek zu weiteren Büroräumen für eine Immobilienverwaltung werden.
Was blieb, ist die Bäckerei Raschke. Deren Verkaufsfläche wurde ein paar Räume zur Seite verlegt. „Wir wollten hier nicht wieder weg, denn viele Kunden haben sich an diesen Standort gewöhnt. Auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle nutzen uns zum Beispiel viele Stammkunden“, sagt Meister Eckehard Raschke. Und der neue Hausbesitzer bestätigt den Bedarf: „Ich habe mit Staunen gesehen, wie viele Kunden zu Raschkes kommen, da brachte ich eine Kündigung nicht übers Herz.“ Gut so, raunen die Mitarbeiterinnen, haben sie doch im abgelegenen Biesnitz mit der Bäckerei zugleich einen täglichen Imbissanbieter.
In den nächsten Tagen werden noch Blickschutzbänder an die großen Fenster kommen, damit kein Angestellter wie auf dem Präsentierteller sitzen muss und für alle sonst einsehbaren Unterlagen auch der Datenschutz gewährleistet ist. Mit ein paar möglichst nicht das Gesamtbild störenden Absperrketten macht Aktiva zudem deutlich, wer auf der Grünfläche das Sagen hat. Denn „noch immer kürzen viele, die von der Grund- zur Promenadenstraße wollen, einfach den Weg durch das Grundstück ab“, erklärt Volker Burgmann. Das stecke bei vielen Biesnitzern eben einfach noch drin, weiß er, obwohl sich eigentlich für die Passanten in Sachen Viktoriagarten gar nichts ändert. Denn zu Kaffee, Kuchen oder gar Tanzabenden einkehren konnten sie dort ohnehin schon seit 2009 nicht mehr.