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Stille neben dem Baulärm

Görlitz. Viele Gemeinden öffnen nicht nur Gläubigen, sondern auch Touristen ihre Pforten. Die Peterskirche ist der Publikumsmagnet.

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Von Varinia Bernau

Der gelbe Regenschirm des Reiseleiters ragt in den wolkenverhangenen Himmel. Eine Touristengruppe aus dem westfälischen Herford hat vor der Peterskirche Stellung bezogen und lauscht aufmerksam den Ausführungen. Viele Jahreszahlen sind dabei, wie Touristenführer sie noch mit größter Hingabe runterrattern können: „Erste Erwähnung 1298, Umbau zur fünfschiffigen Hallenkirche 1423 bis 1497, Brand 1691.“

Die Sonnenorgel lockt an

Keine Frage: Unter den Görlitzer Kirchen haben Peter und Paul die Nase vorn – zumindest was die Zahl ihrer Besucher betrifft. Ein Drittel der Touristen, die bei ihm nach Informationen fragen, erkundigten sich gezielt nach Kirchen, schätzt Christoph Brixner vom Touristbüro i-vent. „Und davon fragen bestimmt 95 Prozent nach der Peterskirche.“ Die meisten locke die Sonnenorgel in den spätgotischen Bau, verrät Brixner.

„Die weitaus meisten Besucher haben wir in der Peterskirche“, sagt auch Ulrike Kunick von der Innenstadtgemeinde. Von den rund 300 000 Gästen, die die Gemeinde im vergangenen Jahr in den vier evangelischen Kirchen der Innenstadt zählte, hatte fast die Hälfte die Peterskirche im Visier.

Den Weg zu den Kirchen fernab der gängigen Touristenrouten finden nur wenige. „Viele Görlitzer wissen nicht einmal, was für eine schöne Kirche mit Rokokoverzierungen etwa in Königshufen steht“, sagt Ulrike Kunick. Begeisterung höre sie immer wieder von denen, die die Hoffnungskirche durch Zufall doch entdecken.

Blick bis ins Riesengebirge

„Zu uns kommen nur wenige Touristen raus“, sagt Thomas Heuer, Küster der Kreuzkirche. Aber ein paar seien es doch, die nach Biesnitz kommen, um den späten Jugendstilbau, die Elemente des Art Déco in Augenschein zu nehmen. „Das sind Touristen, die sich gut mit Baudenkmälern auskennen.“ Und noch ein Argument hat der Küster parat: Vom Kirchturm aus, in etwa 35 Metern Höhe, könne man bis ins Riesengebirge blicken. Seit zwei Monaten ist die Kirche täglich geöffnet. Seither komme auch mal das eine oder andere der rund 2 200 Gemeindemitglieder, um etwas Stille im Alltag zu suchen, sagt Thomas Heuer.

Ruhig geht es auch in der Kirche Heiliges Kreuz in der Struvestraße zu. Im Gegenlicht, das durch die verzierten Fenster dringt, wirkt das Bild des gekreuzigten Jesu noch düsterer. Carola von Haehling ist eine von rund 30 Gemeindemitgliedern, die hier seit drei Monaten ehrenamtlich die Aufsicht übernehmen, damit die Kirche für zwei Stunden ihre Pforten öffnen kann. „Um die zehn Leute kommen an einem Nachmittag“, erzählt sie. Viele junge Menschen seien dabei, auch einige Polen. Meist zur Andacht, das Gespräch suchten nur wenige.

Gespräche mit den Gästen

In die Frauenkirche sind in den vergangenen Wochen ebenfalls nur wenige Menschen gekommen. Wegen der Baustelle vor der Tür, vermutet Monika Schuster, die für jeden Gast in der Kirche einen Strich auf ihre Liste setzt. 400 hat sie am vergangenen Sonnabend gemacht, am Tag darauf gerade einmal 60.

Die unterschiedlichsten Leute treffe man hier, sagt ihre Kollegin Hanna Schneider. Und mit vielen komme sie ins Gespräch, nicht nur über architektonische Details der Kirche, sondern über Gott und die Welt. Bei den ausländischen Touristen, aus Polen oder den Niederlanden, sei das manchmal etwas komplizierter. Aber irgendwie verstehe man sich immer.

Leider am Rande der Route

Es ärgert sie ein bisschen, dass die Frauenkirche am Ende der Touristenroute liegt, dass dann viele nur kurz hereinschauen und sich nicht die Zeit nehmen, die Kirche auf sich wirken zu lassen. Seit März des vergangenen Jahres macht sie hier die Aufsicht. Anfangs habe sie sich hier nicht recht wohl gefühlt, inzwischen jedoch setzt Hanna Schneider, wenn sie von der Kirche spricht, ein „unsere“ davor. Vor kurzem hat sie sich die Frauenkirche in Dresden angeschaut, aber gefallen hat sie ihr nicht. „Das war mir einfach zu viel Barock.“