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Stimmenfang mit Geschmacksverstärkung

Der Wahlkampf in Ferienzeiten verlangt besondere Ideen. Die SZ begleitete Kandidaten u.a. in Kamenz und Radeberg.

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© Thorsten Eckert

Von Marleen Hollenbach & Frank Oehl

Der Himmel ist grau. Dicke Regentropfen fallen auf den Asphalt vorm Radeberger Bahnhof. Der frische Wind bläst die Haare von Jens Bitzka kräftig durcheinander. Der Landtagskandidat der Grünen im Wahlkreis 54 ist froh, dass er sich eine Regenjacke angezogen hat. Darunter hält er Flyer versteckt, damit sie nicht nass werden. Jens Bitzka schaut sich um. Am Bahngleis stehen drei Männer. Sie blicken abwechselnd auf ihr Handy und auf die große Anzeigetafel. In fünf Minuten kommt der Zug. Potenzielle Wähler – Fehlanzeige.

Marion Junge sitzt seit fünf Jahren für die Linken im Landtag. In Großröhrsdorf war sie jetzt mit Vertretern der linken Fraueninitiative Lisa im Wählergespräch – für mehr Gleichstellung in Sachsen. Und auf dem Marktplatz Großröhrsdorf lädt sie kommenden D
Marion Junge sitzt seit fünf Jahren für die Linken im Landtag. In Großröhrsdorf war sie jetzt mit Vertretern der linken Fraueninitiative Lisa im Wählergespräch – für mehr Gleichstellung in Sachsen. Und auf dem Marktplatz Großröhrsdorf lädt sie kommenden D
Wahlkreisabgeordneter Aloysius Mikwauschk hat auf dem Markt in Kamenz fast ein Heimspiel. Sogar Evelin und Armin Kleinstück aus Steina erkennen ihn sofort. Über den Schützenverein am Schwedenstein. Mikwauschk hat Waldes Leberwurst aus Räckelwitz und Pulsn
Wahlkreisabgeordneter Aloysius Mikwauschk hat auf dem Markt in Kamenz fast ein Heimspiel. Sogar Evelin und Armin Kleinstück aus Steina erkennen ihn sofort. Über den Schützenverein am Schwedenstein. Mikwauschk hat Waldes Leberwurst aus Räckelwitz und Pulsn

Doch das stört den Mann aus Lauta nicht. Er hat es nicht auf die Menschen, sondern auf die Fahrräder abgesehen. Die können auch nicht wegrennen, sind viel geduldiger. Sorgfältig hängt der 43-Jährige an jeden Lenker einen Flyer. In zehn Minuten wird er vielleicht 40 Zettelchen los. „Ich hoffe, dass die Leute die Fahrradanhänger mitnehmen und sie zu Hause durchlesen“, sagt Bitzka mit einem Lächeln. Die Laune lässt er sich nicht vermiesen. Nicht vom Wetter und auch nicht von einem Wahlkampf mitten in der Urlaubszeit. Dabei merkt auch er, was das bedeutet. Die Wähler fehlen und die Menschen, die zu Hause geblieben sind, haben nach der Kommunalwahl im Mai keine Lust mehr auf Politik. „Da helfen nur schräge Aktionen“, sagt Jens Bitzka. Zum Beispiel mit Geschmacksverstärkung. Ein Fahrrad hat Bitzka zum Mixer umgebaut. Mit Muskelkraft kann man damit gesunde Cocktails zusammenrühren. Die will er den Gästen der hiesigen Badeseen schmackhaft machen und so mit ihnen ins Gespräch kommen. Seine Devise: Die Wähler neugierig machen, aber nicht belästigen. „Es bringt nichts, wenn man zu aufdringlich ist. Wir versuchen, mit kleinen Aktionen zu punkten“, sagt Bitzka. Ohne aufdringlich zu sein, hat er auch die letzten Flyer verteilt. „Danke, dass Sie Fahrrad fahren und damit die Umwelt schützen“, steht darauf geschrieben. Jens Bitzka rückt die Kapuze zurecht. Dann setzt er sich ins Auto und fährt im Regen davon.

In Kamenz ein paar Tage später ist das Wetter deutlich besser. Der Markt liegt sonnenbeschienen, was nicht nur die Händler freut, sondern auch gleich mehrere Kandidaten im Wahlkreis 53. Marion Junge von den Linken wurde am Tag zuvor als erste Vize-OB gewählt und kann schon dadurch den besten Platz quasi auf der Rathaus-Treppe beanspruchen. „Man merkt in der Tat, dass Urlaub ist“, sagt die 51-Jährige. Seit fünf Jahren sitzt die Lehrerin im Landtag, wobei sie weniger gesessen hat, sondern im Gegenteil sehr umtriebig war. Auch im Wahlkampf stapeln sich ihre Termine. Am Tag zuvor war die Kamenzerin mit Aktivisten der linken Fraueninitiative Lisa zwischen Hauswalde und Großröhrsdorfer unterwegs. „Die Gleichstellung der Geschlechter ist wichtig. Die Politik auch in Sachsen ist immer noch zu männerdominiert.“ Dafür gibt es Zuspruch am Kamenzer Rathaus. Allerdings bleibt der ein oder andere stehen, um mit der Landtagskandidatin lokale Probleme zu behandeln. „Das ist normal“, sagt Junge. Erst recht vor dem Forstfest, das die Kamenzer schon beschäftigt. Mehrere Bürger ärgern sich über das neue Eintrittsprocedere mit den Plastebändern. Die Kandidatin hat Verständnis dafür. „Ob das wirklich zu mehr Einnahmen führt – da habe ich Zweifel.“ Junge wird auch bei den Kritikern ihre Flyer los. Zum Beispiel zur Aktion „Linke Küche“, die am 19. August auf dem Wochenmarkt in Großröhrsdorf von 9 bis 13 Uhr steigt. „Wir servieren leckere Salate“, wirbt die Kandidatin für lockere Wahldebatten am Stand. Das Rödertal ist hart umkämpft. Auch von der Kamenzerin, obwohl sie auf Platz 17 der Landesliste abgesichert scheint. „Ich habe das Direktmandat nicht aufgegeben.“

Ebenfalls ausgesprochen kulinarisch geht es nur zehn Meter weiter auf dem Kamenzer Markt zu. Am Stand von Aloysius Mikwauschk stapeln sich nicht nur Wahlprogramme, sondern auch Pulsnitzer Pfefferkuchen und Hausmacher-Leberwurst aus Räckelwitz, dem Heimatort des CDU-Kandidaten. Er will das Direktmandat im Wahlkreis 53 natürlich verteidigen. „Möglichst mit mehr als 41 Prozent Štimmenanteil, die ich 2009 schaffte.“ Der Politik-Newcomer, den Ex-Ministerpräsident Georg Milbradt protegiert hatte, hat sich in den vergangenen fünf Jahren im neuen Metier erstaunlich schnell eingearbeitet. Er ist lockerer und redegewandter als früher, was ihm Zuspruch und Anerkennung einbrachte. Am Markttag auch von Evelin und Armin Kleinstück aus Steina. „Wir haben uns erst kürzlich im Schützenverein getroffen“, freuen sie sich über die Wiederbegegnung am Info-Stand in Kamenz. Mikwauschk setzt auch bei den beiden auf den Geschmacksnerv und bringt Waldes Wurst mit Erfolg an den Mann und die Frau. Dass dies am Ende nicht den Ausschlag geben wird, weiß Mikwauschk. „Die Leute erkennen an, wenn man sich für ihre Probleme interessiert und eine Lösung in ihrem Sinne anstrebt“, sagt er. Mittlerweile hat der Wahlkreisabgeordnete etwa 50 wiederkehrende Termine im Jahr. „Wenn man an den Themen dranbleibt, wird man auch Erfolg haben.“ Auch bei Mikwauschk wird an diesem sonnigen Donnerstagvormittag nicht nur Landespolitik besprochen. „Sportvertreter kritisierten, dass die Hallennutzung in Kamenz nicht mehr klappt.“ Offenbar sprechen die Beteiligten zu wenig miteinander, meint der 56-Jährige. Da will er ansetzen. Auch als Kreisrat. Zum Beispiel.