Warum es so wichtig ist "nein" zu sagen

Die Kinder sind stinkend faul, das Geld ist in der Monatsmitte fast alle und auf Arbeit gibt es mal wieder Sonderaufgaben: Manchmal fühlt man sich wie im Hamsterrad und weiß nicht mehr weiter. Was hilft? „Grenzen setzen. Damit lässt sich jede Beziehung verbessern, egal, ob privat oder beruflich“, sagt Attila Albert. Die SZ hat den Ratgeberautor gefragt, wie man das am besten anstellt. Vergangene Woche ist das Buch „Ich mach' da nicht mehr mit“ des gebürtigen Chemnitzers erschienen.
Herr Albert, woran merke ich , dass ich über meine Grenzen gehe und ausgenutzt werde?
Die meisten Menschen spüren das, weil sie sich nicht mehr erholen. Ihr Kräftekonto gleicht sich nicht mehr aus. Die Herausforderung ist, sich einzugestehen, dass ich das nicht mehr kann und nicht mehr will. Ich muss meine Ressourcen respektieren. Ich helfe niemanden, wenn ich mich selber für ihn ruiniere.
Für wen ist das denn relevant?
Das Grenzen-Setzen betrifft jeden, der seine Beziehung verbessern möchte. Denn es geht um Beziehungen zu Menschen, die ich mag, oder von denen ich nicht einfach wegkomme – Eltern, Kinder, Partner, Kollegen. Ich kann sie nicht immer austauschen, indem ich meinen Arbeitgeber wechsle oder die Partnerschaft beende. Ein typischer Fall für Leute mittleren Alters wäre, dass Mutter oder Vater einsam ist und mich als Partnerersatz nutzt. Das kann ich nicht gewährleisten, weil ich ein eigenes Leben habe. Wenn ich einen kranken Angehörigen pflege, gilt das auch. Ich kann nicht ständig die Schulaufgaben für mein Kind machen oder einem Verwandten mit Geld aushelfen. Ich kann sie kurzfristig unterstützen, aber grundsätzlich muss jeder seine Aufgaben selber bewältigen.
Was mache ich, wenn ich merke, dass es nicht mehr so weitergehen kann?
Dann muss ich aus einer Beziehung, die zu meinen Lasten geht, in der das Geben und Nehmen nicht so verteilt ist, wie ich es mir vorstelle, ausbrechen. Das kann ich auf eine freundliche und angenehme Art gestalten, weil ich mit dieser Person ja mein Leben weiter verbringen möchte. Vieles passt für mich, aber manches eben nicht. Den Anfang muss ich selber machen, und die Beziehung neu definieren. Das funktioniert nicht mit Ich-Erklärungen wie „Ich habe das Gefühl, dass es mir schlecht geht.“ Das ist eine passive und auf Mitleid bauende Strategie. Gestaltung beginnt damit, zu sagen: Was möchte ich und wie kann das konkret aussehen?

Viele haben jahrelang so gelebt, manche schieben es sogar auf ihre Erziehung. Lässt sich das einfach so ändern?
Ich habe ja einen gewissen Leidensdruck und eine Motivation etwas zu ändern: Es überlastet mich, kostet mich zu viel Geld, Kraft, Zeit. Ich entwickle mich als Mensch immer weiter, es ist einem oft nur nicht bewusst. Vielleicht haben mir meine Eltern beigebracht, dass ich mir Liebe erst verdienen muss, oder dass ich erst dran bin, wenn alle anderen happy sind. Ich muss das als Erwachsener aber nicht weiterführen. Natürlich prägt mich meine eigene Erziehung, aber ich kann mich nicht ernsthaft ständig darauf berufen. Es muss auch mal weitergehen. In anderen Dingen emanzipiere ich mich doch auch von meinen Eltern, trage nicht ihre Klamotten oder fahre an ihre Urlaubsorte.
Frauen haben mitunter eher das Gefühl, ausgenutzt zu werden. Zu Recht?
Beide haben das gleiche Problem, aber es äußert sich unterschiedlich. Frauen helfen mehr aus einer emotionalen Perspektive heraus. Männer haben eher das Gefühl, eine Verpflichtung zu haben. Sie müssen eine Familie ernähren und daher in einem Job bleiben, den sie hassen. Aber die Frau arbeitet nur Teilzeit oder es sind zwei Kinder und ein Haus da. Viele Beziehungen empfinden sich als fortschrittlich, funktionieren aber erstaunlich traditionell: Dass er finanziell für alles verantwortlich ist und sie dem eigentlich innerlich zustimmt.
Was raten Sie dann?
Eine Teilzeitlösung für den Mann ist ein guter Weg. Wenn ich auf 80 Prozent Arbeit gehe, was durch das Teilzeitgesetz möglich ist, verliere ich durch die geringeren Abgaben und Steuern finanziell vielleicht zehn Prozent, habe mir aber schon einen Tag für etwas eigenes freigeschaufelt.
Wer einen Kredit abbezahlen oder seinen Kindern ein Studium finanzieren muss, macht das nicht. Das wäre ja ein Aufruf zum puren Egoismus, oder?
Eine solche Entscheidung trifft keiner leichtfertig. Die Leute entscheiden sich meist zu spät dafür. Sie merken dann, dass sie sehr erschöpft und oft krankgeschrieben sind. Die Alternative wäre, etwas weiter zu machen, was ich nicht mehr kann. Daher würde ich das nicht Egoismus, sondern Selbstfürsorge nennen.

Gibt es weniger gravierende Schritte?
In Paarbeziehungen wäre ein erster Schritt, dass beide ehrlich miteinander darüber reden, was sie erwarten und was sie bewegt. Wichtig ist, dass beide die Verantwortung übernehmen und sich ebenbürtig sind. Oft ist es eine Erleichterung, wenn man offen sagt: „Schatz, wir können uns die teure Wohnung nicht mehr leisten. Was machen wir jetzt? Ziehen wir um?“ Wenn ich ein Problem gemeinsam löse, bereichert das die Beziehung. Wenn jemand sehr erschöpft ist und nicht mehr die Kraft hat, Grenzen zu diskutieren, dann wäre es nötig, dass er sich erst mal ausschläft, zum Sport geht. Dadurch kommt er wieder zu sich und kann für sich klären, was er überhaupt möchte. Die meisten Menschen sind zu geduldig, weil sie Hemmungen haben.
Oder weil ihnen Alternativen fehlen?
Ja, ich muss mir reale Optionen schaffen. Wenn ich den Job nicht aushalte, muss ich Bewerbungen schreiben, wenn ich einen schwierigen Partner habe, muss ich mir andere Kraftquellen erschließen, Freunde oder eine tolle Arbeit. Ich kann nicht alle Eier in ein Nest legen, sonst bin ich abhängig. Grenzen setzen beginnt mit der geistigen Auseinandersetzung, aber dabei darf es nicht bleiben. Im Arbeitsverhältnis ist das nachvollziehbar. Solange ich keinen neuen Job habe, muss ich machen, was mein Chef sagt. Aber das ist in einer Beziehung genauso. Wenn ich nicht bereit bin, sie zu beenden, wenn sie zu schlecht ist, mache ich mit. Ich schimpfe, nörgele, aber ich mache mit. Ich muss vorab akzeptieren, dass ich damit leben muss, dass man mir Undankbarkeit vorwirft oder sich von mir abkehrt. Aber nur dann habe ich die Freiheit, etwas neu zu verhandeln.
Was kann einem dabei Mut machen?
Vieles läuft am Ende auf das eigene Selbstbild hinaus. Wenn ich wirklich selber glaube, dass ich mehr Respekt verdiene, spüren das die Leute. Ich kann das zu Hause mit einigen Sätzen üben. Zum Beispiel: Das mache ich so nicht, aber vielen Dank für das Angebot. Ohne mich zu erklären oder sofort Hilfe anzubieten. Das sollte man einfach mal stehen lassen. Die meisten Leute haben Angst vor der Pause, die dann entsteht, wenn mir jemand sein Problem schildert und Hilfe erwartet, ich aber die Verantwortung einfach zurückgebe.
Wie denn?
Indem ich sage: Ja, das ist sicher schwierig. Aber was sind jetzt deine Pläne? Anstatt gleich mit Vorschlägen zu kommen. Veränderung ist nicht immer angenehm, aber eine Grundvoraussetzung für Entwicklung.
Das Gespräch führte Susanne Plecher.