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Stumpi hebt nicht ab

Beim Drehtag mit Wolfgang Stumph auf dem Flughafen Dresden waren 60 Komparsen gefragt. Ihr Job war mehr als nur spannend.

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© André Wirsig

Von Nadja Laske

Nagelfeilen bitte zu Hause lassen. Feuerzeuge auch. Und den Personalausweis bereithalten. Rollkoffer ziehen die meisten Passagiere hinter sich her, ein paar tragen große Taschen über der Schulter. Dass sie leer sind, weiß an diesem Tag kein anderer Reisender auf dem Dresdner Flughafen. Am Terminal 1 treffen sich rund 60 Fluggäste – alle ohne Ticket.

Regisseur Peter Kahane erklärt der elfjährigen Mia Kasalo die Szene. Sie spielt das Flüchtlingsmädchen Olli.
Regisseur Peter Kahane erklärt der elfjährigen Mia Kasalo die Szene. Sie spielt das Flüchtlingsmädchen Olli. © André Wirsig
Ein ausrangierter Flieger aus Indien dient auf dem Flughafen als Kulisse.
Ein ausrangierter Flieger aus Indien dient auf dem Flughafen als Kulisse. © André Wirsig

Aber sie tun als ob. Das ist eine der ersten Regieanweisungen: Die Komparsen gehen durch die Sicherheitsschleuse, als wollten Sie in die Ferien fliegen. Kathleen Teichmann hat sie begrüßt und zum Shuttle-Bus begleitet. Sie wird den ganzen Tag bei ihnen bleiben, ihnen Wasserflaschen und Bananen reichen, Schokoriegel verteilen und den Weg zur Toilette zeigen. Denn statt Urlaub erwartet die Frauen und Männer ein harter Arbeitstag.

Sie haben es nicht anders gewollt und sich als Statisten beworben, um einmal ganz nah dran zu sein, wenn ein Film entsteht. Den dreht die Produktionsfirma Polyphon fürs ZDF, mit Wolfgang Stumph als Held und Menschenretter.

Bombenleger rettet Kind

In der Rolle des Bombenentschärfers Conny Stein nimmt er das Flüchtlingsmädchen Olli bei sich auf. Mit der Elfjährigen im Schlepptau gerät sein Leben noch mehr aus den Fugen, als ohnehin schon. Auf dem Klotzscher Rollfeld lässt er die Sache erst richtig eskalieren, genauer gesagt, im Flieger. Da sitz auch Olli drin, inmitten der Passagiere ohne reales Reiseziel, und soll nach Tschetschenien abgeschoben werden.

Wie sich in diesem speziellen Falle zu verhalten ist, das haben die Kleindarsteller auf der Busfahrt vom Terminal zum Basislager der Crew bereits von ihrer Betreuerin Kathleen Teichmann gehört. Dort, am Rande des Rollfeldes, hatten sie eine Weile auf Biertischbänken gesessen, Saft getrunken, Verträge unterschrieben und sich die neuen Frisuren von Böen zerzausen lassen. Sie waren in Toi-Toi-Häuschen hinein- und wieder herausgestiegen und hätten die Sonnenbrillen lieber gegen Wetterjacken getauscht. Durch Maschendrahtzaun sahen sie Flugzeuge starten und landen und das Warten im Wind wurde lang. Doch Warten gehört zum Brot eines jeden Komparsen. Ungeduld ist fehl am Platze. Dann, endlich, auf zur nächsten Station: Alle zurück in den Shuttle, über verwaiste Parkfelder an Privat-Jets vorbei in Richtung Tower. Der Shuttle stoppt am Set, vor einem Flieger mit der Aufschrift Indian Airlines und Gangway. Seitdem hat Antje Ritter das Sagen. Der Regieassistentin nach sind die Neuankömmlinge in den Flugzeugbauch gestiegen und haben sich in die Sitzreihen sortiert. Economy Class. First Class reist das Dreh-Team.

Zwischen verblichenen Sesseln hängen dort Kabel aus aufgerissenen Verschalungen. Die indische Passagiermaschine sollte zum Transportflugzeug umgebaut werden, doch die Dresdner Flugzeugbauer entdeckten zu viele Mängel. So stoppte die Fluggesellschaft das Vorhaben, zu teuer wäre es geworden, und ließ ihren Vogel zurück. Zum großen Glück der Film-Mannschaft. Der war in der Babelsberger Flugzeugkulisse eine Hollywoodproduktion zuvorgekommen und der stillgelegte Flieger in Klotzsche die Rettung. Tagelang haben Requisiteure das Wrack im Inneren wieder hergerichtet. Im Fernsehen wird es wie ein ganz normales Flugzeug aussehen, Außenaufnahmen sollen am Computer als 3D-Animation entstehen.

Echte Fluggäste

Die Fluggäste jedoch sind echt. Sie üben ein paar Mal, ihre Jacken ungezwungen auszuziehen, sich anzuschnallen, mit ihrem Nachbarn zu plaudern und ihre Handys abzuschalten. Regisseur Peter Kahane gibt das Zeichen, und schnell kennen sich die Laien in der Film-Sprache aus: „Und bitte!“, „Ton ab!“, „Abgebrochen, danke, aus!“ und „Wir gehen auf Anfang!“. Stundenlang geht das so. Immer wieder von vorn. Das Regie-Team hält die Laune und Komparsen-Betreuerin Kathleen Teichmann die Bonbon-Tüte hoch: „Kleine Pause. Wer will noch Wasser?“

Derweil ist Wolfgang Stumph unzählige Male aus seinem Sessel aufgestanden. Als Bombenentschärfer Conny Stein reist auch er Economy Class. Er will die kleine Olli retten, ihre Abschiebung verhindern und dafür eine Stunde Zeit gewinnen. Zeit, die reichen soll, damit eine Kommission zugunsten der Tschetschenin entscheiden kann. Das Flugzeug rollt zur Startbahn, jedenfalls sagt das die Regie-Assistentin Antje Ritter. Sie kündigt an- und abschwellende Motorengeräusche und später das Ruckeln beim Stehenbleiben der Maschine an. Denn im Startmanöver einfach aufzustehen, ist streng verboten. Conny Stein-Stumpi bringt auf diese Weise den Flieger zum Halten – der Höhepunkt seiner Mission. Und die letzte Szene im Film.

Aber noch lange nicht die letzte Klappe. Bis Mitte Juli wird die Crew in Dresden, Sachsen, Berlin und sogar in Paris unterwegs sein. Nach ihrem langen Drehtag sind die 60 Komparsen schließlich wieder ausgecheckt. Anfang nächsten Jahres können sie sich im neuen Fernsehfilm „Blindgänger“ sehen. Jedenfalls hofft das jeder von ihnen – und zieht seine leere Koffer-Attrappe nach Hause, zurück ins wahre Leben.