Von Carmen Schumann
Im Frühjahr des letzten Kriegsjahres 1918 schreibt Ilse aus Bautzen an ihre Tante Else in Hirschfelde diese Karte mit der Ansicht der Maria-Martha Kirche. Sie bedankt sich für Taschentücher – in Kriegszeiten sicher eine kleine Kostbarkeit. Auf der Vorderseite der Karte vermerkt Ilse, dass sie in der Kirche ihre Prüfung und Abendmahl hatte; die Konfirmation sei in der Petri-Kirche gewesen. Abgestempelt ist die Karte in Bautzen am 27. März.
Die Maria-Martha-Kirche hatte einen Vorgängerbau in der Steinstraße. Dieser wurde im April 1899 abgerissen. An der Stelle neben der Liebfrauenkirche befindet sich heute das Gebäude der Landesversicherungsanstalt. Der Neubau der Maria-Martha-Kirche am Ende des 19. Jahrhunderts war notwendig geworden, weil um diese Zeit die Bevölkerungszahl rasch angewachsen war. Rund 90 Prozent der Bautzener Einwohner waren evangelisch. 1880 gründete sich ein Kirchbauverein. Der Stadtrat unterstützte das Bauvorhaben, indem er dem Verein das Grundstück auf dem damaligen Albertplatz, dem heutigen August-Bebel-Platz, überließ. Zum Reformationstag 1888 wurde der Grundstein gelegt. Doch das zügig vorangehende Baugeschehen erlitt am 2. Juli 1890 einen schweren Rückschlag. Ein orkanartiger Sturm zerstörte das Gerüst und Teile des im Entstehen begriffenen Kirchturms. Zum Glück erlitten nur zwei Arbeiter leichte Verletzungen. Am 29. November 1891, es war der erste Advent, weihte man die vom Dresdener Architekten Christian Schramm im neogotischen Stil entworfene Kirche ein.
Notquartier für Flüchtlinge
Im August 1927 wurde eine neue Turmkugel aufgesetzt. Nachdem die Kirche über 40 Jahre eine wichtige Rolle im Leben der Kirchgemeinde St. Petri gespielt hatte, welche die des Petridoms sogar übertraf, war 1933 eine Innensanierung fällig. Von Pfingsten bis Ende September erhielt der Innenraum einen neuen Anstrich, die Orgel wurde überholt und der Sängerchor an der Orgel erweitert.
Im April 1945 diente das Gotteshaus Kriegsflüchtlingen als Notquartier. Nachdem Kriegsschäden nur notdürftig repariert wurden, fanden 1962 umfangreiche Dacharbeiten statt. Die Höhe der Rundtürme über der Sakristei und der Taufkapelle wurde von siebeneinhalb auf zweieinhalb Meter reduziert. Nach Sturmschäden im Herbst 1972 fanden bis 1978 wiederum umfangreiche Sanierungsarbeiten statt. 1995 wurden die Freiflächen rund um die Kirche neu gestaltet.
Quellen: „Bautzen, Bilder von damals“ (1991), „Von Budissin nach Bautzen“ (2002)