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Südumfahrung ist nicht zu verantworten

Viele Einwohner Pirnas und der Sächsischen Schweiz wünschen sich eine Südumfahrung für Pirna. Diese löse aber keine Probleme, sondern schaffe neue, sagt der Umweltschützer Peter Hildebrandt.

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Von Peter Hildebrand

Straßenneubau erzeugt zusätzlichen Verkehr. Das heißt, auch die geplante Verlegung der B 172 in Pirna löst keine Verkehrsprobleme, sondern verlagert sie und bringt zusätzlichen Verkehr in die gesamte Region. Gleichzeitig wird Pirnas Innenstadt durch eine Umgehungsstraße nicht oder nur unerheblich vom Autoverkehr entlastet werden – und das zu Kosten, die weit jenseits der aktuell für den Bau der Südumfahrung veranschlagten 72Millionen Euro liegen dürften.

Hinzu kommt, dass die bisherigen Planungen keinen realistischen Lösungsansatz bieten. Bei den Verkehrsprognosen, die dem Wunsch nach einer Südumfahrung zugrunde liegen, wurden weder unterschiedliche Szenarien noch alternative Problemlösungen noch die demografische Entwicklung bedacht, und es wurden auch keine Untersuchungen zum Quelle-Ziel-Verkehr und zum Mobilitätsverhalten gemacht.

Die in Pirna bestehenden und die zu erwartenden Verkehrsprobleme sind nur lösbar mithilfe eines modernen, integrierten, umwelt-, sozial- und ökonomieverträglichen Mobilitätskonzeptes für den Raum Pirna-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Mobilitätskonzept bedeutet dabei ausdrücklich nicht nur Autoverkehrskonzept.

Zugleich würden wir so auch den Empfehlungen gerecht, die die Kommission „Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre“ des Deutschen Bundestages für die Verkehrspolitik ausgesprochen hat. Danach haben vor jedem Straßenneubau Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung zu stehen. Dass die Kosten für die Realisierung eines solchen integrierten Verkehrskonzeptes wesentlich unter denen für Bau und Unterhaltung der Südumfahrung liegen, darf als sicher gelten.

Aber nicht nur aus verkehrsplanerischer Sicht ist die Südumfahrung fragwürdig. Sie ist auch aus Gründen des Umweltschutzes abzulehnen. Nur wer beachtet, welche Schutzgüter bei dieser Ortsumfahrung auf dem Spiel stehen und wie wertvoll sie sind, hat das Wohl Pirnas und der Nationalparkregion tatsächlich im Blick. Mit Kohlberg und dem Landschaftsschutzgebiet Viehleite werden zwei wichtige städtische Wald- und Erholungsgebiete angegriffen, nachdem schon Teile des Graupaer Tännichts der Ostumfahrung von Dresden (S177) geopfert wurden.

Hohe ökologische und soziale Güter würden durch die Südumfahrung unausgleichbar entwertet und zum Teil zerstört, was im übrigen auch eine ökonomische Dimension hat. Zu den Schutzgütern gehört die Frischluftzufuhr für die Stadt durch die Talwinde des Gottleubatales. Diese würden mit Kfz-Abgasen kontaminiert. Schließlich fällt ins Gewicht, dass durch den Bau und den Betrieb der Südumfahrung viel mehr Menschen nachteilig betroffen werden, als derzeit noch an der B 172 wohnen.

Auch das Argument, dass die Südumfahrung benötigt wird, um den Tourismus im Elbsandsteingebirge zu befördern, lässt sich widerlegen. Die Annahme, dass eine bessere Erreichbarkeit der Gemeinden im Elbsandsteingebirge durch die Umfahrung von Pirna dem Tourismus nütze, entstammt einer veralteten Tourismusideologie. Das Urlaubsziel wird zumeist nach anderen Gesichtspunkten ausgewählt als nach leichter Auto-Erreichbarkeit; diese wirkt eher kontraproduktiv.

Dem Hauptziel der Tourismuswirtschaft – länger verweilende Gäste – kommt man näher, indem man den Leitlinien eines Gebietstypischen, sanften Tourismus folgt. Wichtig dafür ist unter anderem die Minimierung des individuellen Kfz-Verkehrs und ein optimal funktionierender, einwohner- und touristenfreundlicher öffentlicher Nahverkehr. Das lässt sich in vielen abgelegenen, aber blühenden Urlaubsgegenden beobachten.

Ein politischer Skandal

Dass der zeitweise verstärkte Stau auf der B172 am Management der Straßenbauarbeiten im Stadtgebiet liegt, ist wiederholt kritisch in der Öffentlichkeit angemerkt worden. Die Frage ist, ob nicht sogar absichtlich Erschwernisse geschaffen werden, um Druck für die Südumfahrung zu machen, indem beispielsweise beim Neubau der Seidewitzbrücke auf eine Behelfsbrücke auch für Kraftfahrzeuge verzichtet wurde.

Eine Zwölf-Stunden-Beobachtung an der B 172 zwischen der Ampel Breite Straße und der Auffahrt zum Sonnenstein (7 bis 19 Uhr an einem Werktag und einem Wochenendtag) zeigte, dass Staudauer und Staufrequenz vergleichsweise kaum eine Umgehungsstraße rechtfertigen. Auch ist die Durchlässigkeit für Notfallfahrzeuge jederzeit gegeben. Vor allem aber zeigt sich, dass sich durch intelligentes Mobilitätsverhalten der Verkehrsteilnehmer viel Stau vermeiden ließe. Und liegt dies, angesichts dessen, was bei der Südumfahrung auf dem Spiel steht, nicht in der Verantwortung vor allem der Einheimischen?

Sind es Gedankenlosigkeit, die Nichtbeachtung komplexer Zusammenhänge oder mangelndes Wertebewusstsein, die zu dem blinden, fast hysterischen Ruf nach der Südumfahrung geführt haben? Oder liegt es an Manipulationen in der Verkehrsplanung, an der Unaufgeklärtheit über die Möglichkeiten tatsächlicher Verkehrsproblemlösungen und an veralteten, der Region unangepassten Tourismusstrategien? Vielleicht auch an dem fragwürdig-einseitigem Engagement von Politikern?

Dass Pirnas Stadträte sich für das Projekt ausgesprochen haben, ist ein gesondertes Problem: Der entsprechende Beschluss steht jenem vom 3. November 1998 zum Eintritt Pirnas in den Agenda-21-Prozess für eine nachhaltige Entwicklung diametral gegenüber – ein beachtlicher politischer Skandal. Doch es ist noch Zeit für ein anderes Denken. Wegen der besonderen Werte unserer Heimat sollten wir uns alle darum bemühen.

In Summe lässt sich sagen: Die Südumfahrung von Pirna ist nicht zu verantworten; sie ist zugunsten tatsächlicher Verkehrsproblemlösungen zu verwerfen – nicht nur, weil durch Bau und Betrieb unersetzliche Schutzgüter entwertet oder zerstört würden, sondern auch, weil sie der zukunftsfähigen Entwicklung der Region im Wege steht. Wichtig wäre jetzt, eine Aufklärung der Bürger über alle Aspekte des Projekts, eine Besinnung auf die bedrohten Schutzgüter sowie die Erarbeitung von Konzepten für tatsächliche Problemlösungen. Das wäre ein unschätzbarer Gewinn für uns, für unsere Gäste und für nachfolgende Generationen.