Von Matthias Nicko
Sonnabend für Sonnabend zieht es Tausende Bundesbürger in Bad Muskau über die Neißebrücke. Zum billigen Shoppen in Leknica, dem früheren Lugknitz. Doch wie leben die örtlichen Friseure und Apotheker von und mit ihren deutschen Stammkunden? Und wie ergeht es den Händlern auf dem riesigen Polenmarkt?
„Einige Leute erkenne ich schon am Gesicht, wenn sie unseren Laden betreten“, erzählt Bartosz Smyczynski. Und damit meint er nicht etwa die Bewohner von Leknica (Lugknitz), sondern jene aus Bad Muskau und Umgebung. Der 29-Jährige ist Angestellter seiner Mutter Maria, die fünf Fuß-Minuten vom Polenmarkt entfernt in der Dorfmitte die Zwei-Personen-Apotheke leitet. Die beiden wohnen im Stockwerk darüber, denn das Haus gehört den Smyczynskis.
„Klosterfrau Melissengeist oder Aspirin verkaufen sich das ganze Jahr über“, berichtet Bartosz. Als Beispiel für die Ersparnis gegenüber Deutschland muss eine Packung Neo-Angin herhalten: Diese gibt es in der „Apteka“ für 3,10 Euro – westlich der Neiße unerreicht. Da lohnt sich der Gang über den Fluss also. Doch gleichbedeutend mit diesen Tiefpreisen ist, dass die 56-jährige Maria und ihr Sohn „keine Reichtümer“ anhäufen, sondern geradeso von den Einnahmen leben können.
Folglich zählt jeder Kunde. „Von den Muskauern grüßen einige sogar in meiner Muttersprache“, freut sich Maria. Doch die Gespräche am Tresen werden in der Regel in Deutsch geführt. Darin ist Bartosz Fachmann: „Es gab noch keinen, den ich nicht verstanden habe“.
Vom Dorfkern ein paar Schritte zurück in Richtung Grenze hat der „Salon Fryzjerski“ von Kornela Blaszczuk an diesem Sonnabend Hochkonjunktur. Unter der Woche ist das anders: Dann müssen die 24-jährige Inhaberin und ihre zwei Jahre jüngere Kollegin Anna Miciak auf Kundschaft regelrecht warten. „Denn die Geschäfte gehen schlecht. Gerade jetzt im Winter, wo sich die Leute einfach eine Mütze aufsetzen und sich nicht um ihre Haare scheren.“
Beim Friseur Kundschaft
aus Senftenberg
Aber an Wochenenden ist in dem nur küchengroßen Raum oft kein Treten mehr. Diesmal sitzt Christine Bischoff auf dem Friseurstuhl. „Schließlich werde ich hier ansprechend bedient“, erklärt die 58-Jährige. Und ergänzt: „Zudem stimmt der Preis.“ Bei 35 bis 40 Zloty, etwa neun Euro, für Schneiden, Waschen und Fönen kein Wunder. Mit Mutter Annie Rudel (86), die das freundliche Personal lobt, kommt die Senftenbergerin geradewegs vom Einkauf auf dem Polenmarkt. Alle zwei Monate fahren die beiden nach Leknica – da ist zumindest für die Tochter jedesmal auch Haare schneiden Pflicht.
Was indes ihre etwa 30 Stammkunden aus Muskau und Umgebung anbelangt, so wisse Kornela Blaszczuk inzwischen, welche Frisuren die Leute wünschen. „Schließlich betreibe ich den Salon seit sieben Jahren. Außerdem sind die meisten Kunden älter und tragen deshalb ohnehin einfache Schnitte“, sagt Kornela. Bedauernd fügt sie hinzu: „Wenn uns hingegen die Jungen ihre flippigen Wünsche erklären wollen, scheitert das zumeist an der Sprachbarriere“. Folglich findet nur ganz, ganz selten ein jugendlicher Lausitzer den Weg über die Neißebrücke.
Nebenan auf dem Polenmarkt bringt Tomasz Krajewski Gänse, Äpfel, Süßigkeiten, Zigaretten und allerlei Kleinkram an den Mann und die Frau. Das Zeug kauft der 29-Jährige in aller Frühe auf dem Markt im nahen Zary (Sorau) und fährt es von dort direkt an die Grenze. Danach stehen er, seine Frau Arleta und Schwester Ania von sieben bis 18 Uhr an ihrem Stand. Bei Wind und Wetter. Tagein, tagaus – siebenmal die Woche.
Davon kann auch Maria Maciata ein Lied singen, die der Full-Time-Job „ganz schön schlaucht“. Obendrein leidet die Händlerin unter Heimweh, denn ihre Familie ist zu Hause im zwölf Auto-Stunden entfernten Zakopane geblieben. Maria wohnt derweil von Oktober bis Dezember bei Bekannten in Leknica und hält lediglich per Telefon Kontakt in die Tatra.
Mittlerweile ist die schwarzhaarige Polin selbst wieder in Zakopane und sitzt dort heute Abend unterm Tannenbaum. Wie in jedem Jahr wird sie sich in den kommenden neun Monaten mit Ehemann Mieczyslaw und den drei Kindern im Teenager-Alter um die eigene Landwirtschaft kümmern. Aus der Wolle, die Maria ihren Schafen vom Leib schert, werden im Sommer Pullover und Socken entstehen. Für Leknica. Für den nächsten Herbstverkauf. Auch jene Waren, die die Familie über Zakopaner Händler bezieht, bringt die Mama ab Oktober wieder unter die Deutschen. Seit der Wende geht das so.
„Besonders gut gehen die Kinder-Hausschuhe“, sagt die 42-Jährige und zeigt dabei verlegen lächelnd auf ihr breites Sortiment. Und trotzdem: „Der Stand kann nur ein Zubrot zur Landwirtschaft sein, denn die ist es, die uns Milch und Käse sichert.“ Zumal etliche Einnahmen aus dem Markt-Geschäft für die Standmiete draufgingen.
Nur wenige Deutsche
sprechen Polnisch
Aber dafür verkauft Maria auch einiges. Hierzu braucht sie kein besonderes Talent, sondern muss die Kunden nur mit einem „Bittescheen“ oder „Bitte probieren“ auf sich aufmerksam machen. „Denn nur ganz, ganz wenige Deutsche sprechen Polnisch.“ Die Frau in der Joggingjacke fügt aber achtungsvoll hinzu, dass ihr die meisten Kunden sehr zuvorkommend und freundlich begegneten.
Und als raffgierig möchte sie die Kauftouristen von jenseits der gerademal 50 Meter entfernten Neiße auch nicht bezeichnen – selbst wenn diese Sechser-Packs Orangen-Limonade hinüber trügen, die bei Aldi nur unwesentlich mehr kosteten. „Schließlich wechseln auch meine Landsleute die Flussseite.“ Mit einem feinen Unterschied: „Sie betreten die Bad Muskauer Geschäfte häufig nur aus reiner Neugier.“