Von Anja Köhler
Wenn Helmut Haferkorn beginnt, von der Kirche im Mittweidaer Ortsteil Tanneberg zu erzählen, gerät er ins Schwärmen. Sie sei zwar klein, aber fein, und dazu von vielen fleißigen Händen wunderbar gepflegt, sagt der Rentner. Und er muss es wissen. Denn 22 Jahre lang war er zum Beispiel für die Turmuhr verantwortlich, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird.
Emsig steigt Helmut Haferkorn die Stufen in den Dachstuhl der Kirche hinauf. In einer kleinen Kammer ist das Uhrwerk untergebracht, das seit den letzten Sanierungsarbeiten in den Jahren 2006 und 2007 elektronisch angetrieben wird. „Vorher hat es rein mechanisch funktioniert und lag etwa acht Meter höher“, erklärt der Tanneberger, der eigentlich nur noch ungern über die Uhr spricht. Denn seit geraumer Zeit ist Matthias Hoffmann für sie zuständig. Er kenne sich besser mit der Elektronik aus, sagt Haferkorn neidlos anerkennend, da wolle er sich selbst ein Stück zurücknehmen.
Dass die Kirchenuhr dennoch sein Herz erobert hat und ihre Zeit da drin noch längst nicht abgelaufen ist, zeigt sich, wenn Haferkorn zur Geschichte befragt wird. So erinnert er sich noch gut daran, wie er 1986 zusammen mit Karl-Heinz Geßner das 1,20 Meter große Zifferblatt abgenommen und erneuert hat. Bis aufs Grundblech hatten sie es abgeschliffen, entrostet und weiß angestrichen. Zuvor hatten sie mit Pauspapier die Ziffern durchgemalt, um sie wieder originalgetreu aufzeichnen zu können. Damals waren es arabische Ziffern, jetzt sind es – nach der jüngsten Erneuerung – römische.
Das Pendel der Uhr ist etwa einen Meter lang. Weil das Uhrwerk bei niedrigen Temperaturen langsamer geht, muss es im Winter ein paar Millimeter höher gehangen werden. Dadurch bewegt es sich schneller und garantiert, dass die Uhr trotz des langsameren Uhrwerks pünktlich ist. „Auf eine pünktliche Uhr haben die Tanneberger nämlich schon immer großen Wert gelegt“, berichtet Helmut Haferkorn, der den 1909 von Theodor Jahn gestifteten und 1910 eingebauten Zeitmesser einmal pro Woche aufziehen musste. Lediglich zwei Mal sei die Uhr in 22 Jahren stehen geblieben. Schuld waren jeweils heftige Stürme. Denn die drückten so heftig gegen die rund 60 Zentimeter langen Zeiger, dass das Uhrwerk seinen Dienst einstellte. Die Umstellung auf die Sommerzeit und das Vordrehen um eine Stunde sei stets unproblematisch gewesen. Bei der Winterzeit habe das schon anders ausgesehen, wobei weniger das Uhrwerk, sondern eher das Schlagwerk eine knifflige Sache war. Denn das lässt sich nicht mal eben anhalten. Mit ein paar Tricks sei es jedoch gelungen, dass die Glockenschläge zur vollen und halben Stunde mit der Uhrzeit übereinstimmten.
Bronzeglocken sind erhalten
Auch zu den drei Bronzeglocken der Kirche weiß Helmut Haferkorn einiges zu erzählen. So wurden die beiden kleineren in den Kriegsjahren abgeholt und sollten für die Kriegsmaschinerie eingeschmolzen werden. Letztlich wurden sie jedoch nicht mehr benötigt. Weil sich die Etiketten noch auf den Glocken befanden, wurde die Gemeinde seinerzeit befragt, ob sie sie wiederhaben wolle. Tanneberger machten sich auf den Weg nach Hamburg, um sie zurückzuholen.
Wie sich das Läuten per Hand anfühlt, kann Helmut Haferkorn gut beschreiben. Oft hat er das getan und sagt: „Drei Klimmzüge sind nötig, um die große, 520 Jahre alte Glocke erst einmal in Bewegung zu versetzen.“ Manches Mal kam er dabei richtig in Schwitzen –etwa bei einer Trauung. Weil der Brautvater den Brautstrauß zu Hause vergessen hatte und noch einmal umkehren musste, wartete das Brautpaar vor der Kirche. Und genauso lange musste Haferkorn läuten. So will es die Tradition.