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Tanzen wie der Sonnenkönig

Buckel und Hakennase, damit begann Manfred Schnelles Karriere – als Knirps auf einer improvisierten Bühne. Er war die Knusperhexe im Laientheater. Dorthin und zum Tanz hat es ihn schon als Kind gezogen.

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Von Nadja Laske

Buckel und Hakennase, damit begann Manfred Schnelles Karriere – als Knirps auf einer improvisierten Bühne. Er war die Knusperhexe im Laientheater. Dorthin und zum Tanz hat es ihn schon als Kind gezogen. Am Sonnabend wird Manfred Schnelle 75Jahre alt, und noch immer füllt der Tanz sein Leben.

Er könnte stundenlang erzählen. Nicht nur einen Nachmittag lang, an dem sich der flache Tisch vor der Couch in seiner Neustädter Wohnung mit immer mehr Erinnerungen füllt. Doch alles zögerlich.

Anfangs liegen da nur ein paar Faltblätter vom Verein Dresdner Hoftanz. Den gründete Schnelle Anfang der 90er-Jahre, weil eben alles seine Ordnung haben muss, mit dem Engagement der Bürger. Und engagieren wollte er sich.

Anständige Bewegungen

Schon in jungen Jahren hatte er den Tanz des Sonnenkönigs und seiner italienischen Vorbilder für sich entdeckt. „Geniale Musik, anständige Tänze“, bringt Manfred Schnelle auf den Punkt, was ihn daran so fasziniert. Künstlerisch geprägt hat ihn seine Lehrerin Marianne Vogelsang. Ein Bild von der berühmten Tänzerin und Tanzpädagogin hat er in seinem Flur aufgehängt. Sie hat ihn zum Ausdruckstanz begleitet, wenig beliebt und ungern gesehen von den obersten Kulturschaffenden der DDR. Doch das sollte Manfred Schnelle erst später zu spüren bekommen. Zunächst absolvierte er sein Studium an der Fachschule für künstlerischen Tanz in Berlin und war 1956 bis 1967 am Staatstheater Dresden engagiert. Danach arbeitete er 14Jahre lang als Dozent für historische Tänze an der Fachschule in Leipzig und wechselte schließlich als Chefchoreograf nach Rostock.

Schon ab 1959 gestaltete er parallel zum historischen Tanz auch moderne Solo-Tanzabende in verschiedenen Städten und lernte einen Zen-Meister kennen, dessen Lehren ihn sehr berührten. Manfred Schnelle begann, Yoga zu praktizieren und zu unterrichten – das tut er bis heute. All das schien DDR-Funktionären zu anders und absonderlich. Der Vorwurf: Er tanze Menschenbilder, die der sozialistischen Koexistenz entgegenstünden, oder etwas Ähnliches in diesem Duktus. „Ich wusste noch nicht einmal, wie man das schreibt“, sagt Schnelle.

Die historischen Tänze dagegen waren besser gelitten. So trat er auf in vollen Häusern, er, der Meister komplizierter Schrittfolgen, die seinerzeit Ludwig XIV. in Frankreich zur Perfektion trieb und seinen Gefolgsleuten ebenso abverlangte.

Nach der Wende inszenierte Manfred Schnelle Ballett an der Stuttgarter Oper, arbeitete im Ausland, brachte immer wieder Stücke in eigener Inszenierung auf freie Bühnen. Viele davon standen in Kirchen. Sie boten einen beeindruckenden Rahmen für seine Kunst.

Während er Kaffee einschenkt und erzählt, gelegentlich aufsteht und leise mit Papieren raschelt, füllt sich der Couchtisch mit Programmheften aus vergangener Zeit und mit Fotos eines jungen Mannes im engen Tanzdress. Sein Körper, gebogen und gespannt, lässt den Betrachter nur schwer los. Konzentriert auf die Bewegung. Wie viel mehr Stoff umhüllt dagegen die Tänzer in barocken Roben. Ihre Haltung könnte darin verloren gehen. Doch das lässt Manfred Schnelle nicht gelten.

Elementare Temperamente

Er steht auf und lässt seine Arme und Hände tanzen, unfassbar elegant, nichts ist dem Zufall überlassen: Geschlossene Beine und offener Oberkörper. Oder genau entgegengesetzt. In dieser Kunst unterrichtet Manfred Schnelle noch immer Schauspieler, Tänzer, Barockfreunde mit dem nötigen Ernst zur Sache. Er gilt als der Lehrer für barocke Tänze schlechthin. Wenn er am Sonnabend seinen Geburtstag feiert und in die Zukunft blickt, hat er einen Wunsch: „Ich würde gern das ‚Dresdner Planetenballett‘ einmal in Dresden inszenieren“, sagt er. Die Originalvorlage von 1678 liege in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Vor vielen Jahren hat er das Stück eines Unbekannten in Dessau auf die Bühne gebracht. Und, wenn das geschafft ist? „Dann möchte ich als indischer oder spanischer Tänzer wiedergeboren werden.“ Beides sehr verschiedene Temperamente, beide elementar.