Tausende haben eine kaputte Leber – und wissen es nicht

Es ist nicht nur der Alkohol, der die Leber schädigt. „Auch kohlenhydrat- und fettreiches Essen sowie Bewegungsmangel können zur Ausbildung einer sogenannten Fettleber führen“, sagt Professor Frank Lammert, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten. Bis zu 40 Prozent der Erwachsenen, zunehmend aber auch Kinder, sollen davon betroffen sein. Vielleicht aber auch viel mehr, denn genaue Zahlen gibt es nicht. Da eine kranke Leber anfangs nur unspezifische Symptome wie etwa Müdigkeit zeigt, wissen die wenigsten von ihrer Schädigung. Denn es gibt keine strukturierten Früherkennungsprogramme.
Das wollen Gastroenterologen, aber auch Selbsthilfegruppen wie die Leberhilfe ändern, denn Nichtwissen sei in diesem Fall fatal. „Die Leber hat wie kaum ein anderes Organ eine außerordentlich hohe Regenerationsfähigkeit“, sagt Lammert. Mit einer Verbesserung der Lebensweise ginge meist auch eine bessere Lebergesundheit einher. Nur müsse die Krankheit dazu erst einmal entdeckt werden.
Passiere dies nicht und könne der Betroffene nicht intensiv gegensteuern, entstünden in einer verfetteten Leber zunehmend Entzündungen. Diese führten dem Gastroenterologen zufolge zu einer fortschreitenden Vernarbung von Lebergewebe. Bei diesem Prozess werde aus Lebergewebe funktionsloses Bindegewebe. Die Leber als größtes Stoffwechselorgan kann dann ihre wichtigen Funktionen, zum Beispiel Entgiftung, Vitamin- und Energiespeicherung, nicht mehr ausführen – ein schleichender Verlust an Lebenskraft. Am Ende stünde meist eine Leberzirrhose, so Lammert. „Doch nur bei jedem vierten Patienten gelinge es, die Erkrankung so frühzeitig zu erkennen, dass sie noch gut behandelbar ist. Etwa 500.000 Menschen in Deutschland haben eine Leberzirrhose, ohne davon zu wissen.“
Aus diesem Grund wurde der für gesetzlich Versicherte kostenlose Check up 35 im Rahmen der sogenannten SEAL-Studie um eine Blutuntersuchung erweitert. SEAL steht dabei für Strukturierte Früh-Erkennung einer Asymptomatischen Leberzirrhose und wird bis zum Jahresende in Rheinland-Pfalz und dem Saarland durchgeführt. Wer dort bei der AOK versichert ist, kann daran teilnehmen. Bei ihnen werden zusätzlich zu den allgemein üblichen Untersuchungen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenfunktionsstörungen und Diabetes die Leberwerte geprüft. Bei einem erhöhten Risiko-Score erfolgt eine Überweisung an einen Leberspezialisten oder in ein Leberzentrum, wo eine Ultraschalluntersuchung und eine sogenannte Elastografie vorgenommen werden. Mithilfe der Elastografie lässt sich der Vernarbungsgrad der Leber bestimmen.
Übergewicht belastet
Professor Lammert: „Ziel der Studie ist es, dass die Bestimmung der Leberwerte für jeden Versicherten im Rahmen des Check up 35 möglich wird.“ Denn eine solche strukturierte Früherkennung von Lebererkrankungen habe ein enormes Potenzial, weil sehr wirksame Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stünden. Eine Umstellung der Ernährung, viel Bewegung und der Verzicht auf Alkohol könnten dazu bereits ausreichend sein. Auch chronische Entzündungen der Leber durch Viren wie bei Hepatitis C könnten zur Vernarbung der Leber führen. „Doch dank innovativer Medikamente ist Hepatitis C heut problemlos heilbar“, so der Gastroenterologe. Gegen Hepatitis A und B gebe es Impfungen, sodass Spätfolgen wie Leberversagen und -krebs künftig stark zurückgehen könnten.
Nach Beendigung der Studie muss der gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Ergebnisse prüfen. „Unsere Hoffnung wäre, dass eine strukturierte Lebervorsorge dann ab 2022 in Deutschland starten kann“, sagt Frank Lammert.
Versicherte anderer Bundesländer können bei Vorliegen einer medizinischen Notwendigkeit auf Kassenkosten ihre Leberwerte prüfen lassen. Dies sei zum Beispiel bei Beschwerden wie unklarer Abgeschlagenheit möglich.
Besser ist es jedoch, es gar nicht erst soweit kommen zu lassen. Den Gastroenterologen zufolge sollte man in der täglichen Ernährung tierische Fette, komplexe Kohlenhydrate, zum Beispiel Backwaren, reduzieren und möglichst auf Fruktose – Fruchtzucker – verzichten. Fruktose steckt besonders in gesüßten Getränken und Fast Food. Auch Übergewicht und Alkohol belasten die Leber. Um seine Leber gesund zu erhalten, empfehlen die Ärzte täglich Bewegung, ballaststoffreiche und zuckerarme Ernährung. Alkohol sollte nur maßvoll und nicht regelmäßig genossen werden. Häufig sollten hingegen Bitterstoffe auf dem Speiseplan stehen. Sie kurbeln den Gallenfluss an und unterstützen die Leber in ihrer Entgiftungsfunktion. Bitterstoffe stecken zum Beispiel in Chicorée und Artischocken. Von sogenannten Leberreinigungsprozeduren, die Heilpraktiker oder Naturmediziner zur Entschlackung und Entgiftung empfehlen, raten die Gastroenterologen aber ab. Ein dauerhaftes lebergesundes Verhalten sei wirkungsvoller.