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„Tempotafeln gezielt einsetzen“

Seit Jahren zählt Veit Tittel Autos auf Straßen, misst Lärm, bringt Bürgerinitiativen zusammen.

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Von Peter Redlich

Veit Tittel arbeitet in der Autobranche als Programmierer in einem Ingenieurbüro. 2011 hat er das Bündnis Verkehrsentlastung Elbtal gegründet. Anlass war die Fertigstellung der Niederwarthaer Elbbrücke. Seitdem versuchen er und seine Mitstreiter, Bürgerinitiativen auf beiden Elbseiten zu vernetzen. Ziel des Bündnisses ist es, Stadtverwaltungen und Behörden dazu zu bringen, den Verkehr für die Anwohner erträglicher zu gestalten.

Herr Tittel, das jüngste Thema sind Tempotafeln. Wir haben gerade veröffentlicht, wo die Bürger überall welche haben wollen. Wenn die überall dort aufgestellt würden, wäre doch der Reiz der Tafeln verloren und es würde wieder zu schnell gefahren, oder?

Radebeuls Oberbürgermeister hat mir gerade bestätigt, dass zwei Tafeln angeschafft werden. Die Gefahr der Reizüberflutung sehe ich bei zwei Tafeln nicht.

Generell aber sind die Tafeln sinnvoll?

Ich halte sie für sinnvoll, wenn Radebeul diese an den Hauptzufahrten aufstellt. Dort steht schon „Herzlich Willkommen“ und es würde hinzugefügt: „Genießen Sie Radebeul, fahren Sie langsam!“ In der Stadt selbst sollten mobile Tafeln punktuell dort aufgestellt werden, wo Beschwerden aufkamen. Über 14 Tage aufgestellt, könnte eine Tafel schon Wirkung zeigen. Es wäre übertrieben, jetzt 20 Tafeln zu installieren.

Sie haben den Vorschlag gemacht, ein Präventionskonzept für solche Tempotafeln aufzustellen. Was ist das?

Ich denke dabei vor allem an Autofahrer, die eher unbewusst zu schnell fahren. Wer absichtlich zu schnell fahren will, den hält weder Tempotafel noch Blitzer ab. Wer auf eine Tempotafel reagiert, macht das freiwillig. Mir ist es selbst so gegangen, dass ich im Verkehr mitschwimme, in Gedanken bin und an der Tafel erst merke: Oh, ich bin zu schnell. Vielen Autofahrern wird es genauso gehen. Meines Erachtens ist der Präventionseffekt nachhaltiger, wenn man flächendeckend auf die Einhaltung der Geschwindigkeit hinweist und stichprobenartig die Unbelehrbaren blitzt.

In Radebeul-Ost soll ab 2016 die Meißner Straße saniert werden. Zwei- oder vierspurig, darüber wird gestritten. Was halten Sie für sinnvoller?

Auch in Mitte soll saniert werden. Aber darüber wird kaum diskutiert, weil dort offenbar genügend Platz ist. Im Osten bin ich der Meinung, dass alle Optionen vor dem Abriss von Häusern geprüft werden sollten. Letztlich bezahlen wir alle dafür.

Kürzlich gab es einen Vorschlag aus Schleswig-Holstein, die Autofahrer für den Straßenausbau mehr zur Kasse zu bitten. Was halten Sie davon?

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) möchte für die Straßensanierung bundesweit von allen Autofahrern eine Sonderabgabe kassieren. Das gab im ganzen Land einen Aufschrei. Wenn wir allerdings diesen Vorstoß mit in die Diskussion um zwei- oder vierspurigen Ausbau einbringen, wird man vielleicht zurückhaltender und zweispurig bauen. Andererseits, solange wir es als Zumutung empfinden, mit dem Auto einige Augenblicke hinter einer Straßenbahn zu warten, werden breitere Straßen gefordert. Eine Abwägung zwischen Kosten und Nutzen ist auch in Radebeul notwendig. Ökonomischer und ökologischer ist die zweispurige Variante. Alle zehn Minuten müssen wir hinter der Bahn ohnehin anhalten, egal ob zwei- oder vierspurig. Autofahrer sollten bedenken, dass die Straßen erheblich voller wären, wenn gar keine Bahn fährt.

Was gewinnt der Autofahrer, wenn es vier Spuren sind?

Der Autofahrer fühlt sich freier, weil das Sichtfeld freier ist. Er wird, das belegen Studien der TU Dresden, zum schnelleren Fahren animiert. Aber das wird auf der Meißner Straße, wegen zahlreicher Kreuzungen und Einmündungen, kaum auszubauen sein und erhöht das Unfallrisiko.

Wie lang muss der Abschnitt zwischen zwei Haltestellen sein, damit der Autofahrer überhaupt an der Bahn vorbeifahren kann?

Es gibt dafür eine Formel aus der Fahrschule. Danach lässt sich das mit den Längen der Fahrzeuge, den Sicherheitsabständen und den jeweiligen Geschwindigkeiten berechnen. Eine Straßenbahn hat knapp 700 PS, ist also knackig motorisiert. Eine mit 50 km/h fahrende Bahn ist in der Stadt kaum zu überholen. Aber: Die Bahn muss sanfter anfahren und sanft abbremsen, damit Fahrgäste, die im Gegensatz zum Pkw nicht angeschnallt sind, nicht umfallen. Das macht die Bahn im Durchschnitt langsamer. Fährt ein Pkw 50 km/h, braucht er mindestens 400 Meter, um an der Bahn vorbei zu kommen. Halteinseln oder Haltebuchten, an denen vorbeigefahren werden kann, sind deshalb effektiver als vierspuriger Ausbau.

Der Ausbau der Meißner Straße in West wird auch kritisiert. Was hat die Sanierung aus Ihrer Sicht gebracht?

Nutzen haben vor allem Radfahrer. Auf dem Abschnitt fahren jetzt mehr Leute mit dem Rad. Der Fußweg und die Fahrbahn sind ein Stück entkoppelt, weil der Radweg dazwischen ist. Damit wird der Fußweg sicherer, vor allem für Kinder, Ältere und Behinderte.

Die Autofahrer haben jedoch das Gefühl, sie werden ausgebremst.

Das ist so. Autofahrer konnten früher bis an die hinterste Tür der Bahn ranfahren und haben nur noch auf das Abklingeln gewartet. Dann sind sie vorgeprescht und waren schneller an der Bahn vorbei. Das führte jedoch zu Konflikten und Fahrgäste fühlen sich unsicher, wenn sie vor der Stoßstange eines Pkw ein- oder aussteigen müssen. Das wurde jetzt berücksichtigt. Die Autofahrer werden durch die Ampel weiter hinten gestoppt und müssen jetzt etwas mehr Geduld aufbringen.

Der Effekt ist offenbar, dass viele Autofahrer, vor allem im Berufsverkehr, in die Nebenstraße ausweichen. Was die Anwohner, etwa der Winzerstraße, ärgert. Ist das zu verhindern?

Wo jemand entlangfährt, ist demjenigen kaum vorzuschreiben. Ob hier subjektives Empfinden und objektive Zahlen wirklich übereinstimmen, kann nur durch Zählungen festgestellt werden. Der Ausweichverkehr wird vermieden, indem die Meißner zügig saniert wird. Wichtig sind die Beseitigung von Langsam-Strecken der DVB, die Optimierung von Ampelschaltungen und die Schaffung von Vorbeifahrmöglichkeiten an Haltestellen. Fakt ist, dass wir seit Jahren auf der Meißner Straße abnehmende Verkehrszahlen haben – und nicht erst, seit die Straße in Radebeul-West saniert wurde. Es waren mal Zahlen von über 20 000 Fahrzeugen. Jetzt sind es knapp 18 000 Fahrzeuge am Tag.

Bringt die Niederwarthaer Brücke schon eine Entlastung?

Es gibt vorsichtige Anzeichen, dass die Brücke Radebeul teilweise entlastet. Die letzten Zählungen ergaben 7 700 Fahrzeuge auf der Brücke. Allerdings ist auf der B 6 auf der anderen Elbseite inzwischen eine Sättigung eingetreten und Wohngebiete werden stärker belastet. Echte Entlastungen wird es erst geben, wenn in Cossebaude die neue B 6 bis zur Autobahn gebaut ist und rechtselbisch die Umfahrung über die S 80 hinzukommt sowie die S 84 durchgehend bis Meißen befahrbar ist. Das wird nicht vor 2020 bis 2025 sein.