Stefan Bley - Ein Leben für Stadt und Theater

Von Klaus Arauner,
Generalintendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters Görlitz/Zittau
Wenn Stefan Bley zu Beginn des ersten Weihnachtskonzertes im Gerhart-Hauptmann-Theater die traditionell platzierte Kerze angezündet hat, beginnt in Görlitz die Adventszeit. Vorher nicht. Seit 34 Jahren geht das nun so, und niemand hat seitdem ausprobiert, ob es sonst hier überhaupt noch Advent werden würde. Wenn Sie mich fragen, ich bezweifle es.
Stefan Bley, Opernsänger im Stimmfach Bass am hiesigen Theater, geht dieser Tage in den Ruhestand, von dem ich zu sagen wage, dass er vermutlich ein Un-Ruhestand werden wird. Viel zu zahlreich sind die Beschäftigungsfelder und Interessen dieses ganz besonderen Kollegen. Doch davon später.
Stefan Bley hat viele (Lebens-)Rollen
Ihn hier näher vorzustellen, hieße die berühmten Eulen nach Athen zu tragen. Ihm aber am Ende seiner zumindest hauptberuflichen Theaterkarriere ganz herzlich für seine vielfältigen Verdienste danken zu dürfen, die weit über die Mauern des Theaters am Demianiplatz hinausreichen, ist eine ebenso ehren- wie sinnvolle Aufgabe.
Bedeutende Künstler werden ja immer wieder zu Institutionen erklärt. Oft ist dies eine Überhöhung, die aus dem aufblickenden Respekt des Publikums vor dem Genie des besonderen Menschen hervorgeht. Stefan Bley ist eine Institution des Gerhart-Hauptmann-Theaters und der Stadt Görlitz ohne jede Überhöhung. Sängerdarsteller, Stadtrat, Maître des Weihnachtskonzertes, Familienvater, Lehrender, Gärtner. Weiter kann ein Wirken kaum gespannt sein.
Seit 1978 Ensemblemitglied in Görlitz
Beginnen wir allein mit dem ersten, seinem Beruf. 1978, vor sage und schreibe 42 Jahren, kam Stefan Bley unmittelbar nach seinem Gesangsstudium an das Görlitzer Stadttheater. Die Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin hatte ihm den damals üblichen „Einsatzvorschlag“ für ein Engagement am hiesigen Hause gemacht. Zum Glück hat er ihn angenommen.
Heute ist es nahezu undenkbar, dass ein Sänger sein gesamtes Berufsleben an nur einem Theater verbringt. Aber erst in der Kontinuität, in dem für lange Zeit an einem Orte tätig sein, erfüllt sich im eigentlichen Sinne die Arbeit als Ensemblemitglied eines Stadttheaters. Dann nämlich beginnt sie über die Theaterbühne hinweg zu wirken und in die Stadtgesellschaft auszustrahlen. Stefan Bley hat dies mühelos erreicht. Er war vom Beginn seiner Tätigkeit an als Ensemblemitglied für viele, später vor allem für die jungen Kolleginnen und Kollegen ein wichtiger, zuverlässiger und geschätzter Ratgeber. Heute ist er eine Persönlichkeit mit einem überzeugenden Werteverständnis, das eine große Mehrheit der Menschen in unserer Stadt schätzt und in bester Weise mit dem Theater identifiziert.
Über 4.000 Theatervorstellungen in 42 Jahren
Natürlich darf man auf dem langen Weg zu dieser exponierten Position die Spannung nicht verlieren. Auch das ist ein besonderes Talent. Stefan Bley hat mir immer wieder berichtet, dass ihn auch nach mehr als 4.000 Theatervorstellungen (seine persönliche Zählung hat er 2007 bei der bereits beachtlichen Anzahl von nahezu 3.000 abgebrochen), die ganz besondere Spannung vor einer Vorstellung, der steigende Adrenalinspiegel und das positive Lampenfieber begleiten wie am ersten Tag. Deshalb wird auch im 27. Weihnachtskonzert des Jahres der Zuschauer in seinen Bann gezogen, wenn der extrem präsente Moderator und Sänger die Bühne betritt.
Überhaupt verfügt Stefan Bley über ein riesiges darstellerisches und sängerisches Repertoire. Von den komischen Rollen – unvergesslich ist sicher jedem sein Frosch in der Fledermaus, in unserer aktuellen Inszenierung nun kongenial beerbt von Hans-Peter Struppe – über die großen Opernpartien wie etwa den Daland im Fliegenden Holländer bis hin zu den Hauptrollen in Musicalinszenierungen der letzten Jahre, Stefan Bley hat immer überzeugt und den starken Figuren seine ganz eigene Note gegeben.
Schweißtreibende Regie-Ideen
Wenn die Vorstellungszahlen in die Tausende gehen, beginnt im Leben eines Bühnensolisten natürlich auch die Zeit der Theaterlegenden, der kleinen und großen Erzählungen, die im Laufe der Zeit ein Eigenleben entwickeln und oftmals auch über sich selbst hinauswachsen. Unzählbare könnte ich aufschreiben, die immer auch etwas über Stefan Bleys großen Charakter berichten.
Besonders gern zieht er mich beispielsweise mit einer Geschichte aus unserer gemeinsamen Inszenierungsarbeit zu Rusalka auf. Stefan Bley hatte in Antonín Dvořáks Oper den Wassermann zu geben. Von einer bis in die höchsten Höhen des Schnürbodens hinaufragenden Wendeltreppe sollte er würdevoll in die Wasserwelt hinabsteigen und dort sofort mit einer hoch anspruchsvollen Arie beginnen. Dazu aber musste er (die Treppe war von oben nicht zugänglich) bereits in der Aktpause aufsteigen und inmitten der brennend heißen Theaterlampen auf der leicht schwankenden Treppe lange Zeit auf seinen Auftritt warten. Er hat es über viele Vorstellungen ohne jedes Murren getan. Und die übermütige Regieidee erst danach und im Spaß aufs Korn genommen.
Schwer verletzt Vorstellung zu Ende gespielt
Die eiserne Professionalität auf der Bühne spielt in Stefan Bley Berufsbild ohnehin eine große Rolle, selbst wenn es mal gefährlich und schmerzhaft wird. Als wir den kleinen Horrorladen produzierten, war die Görlitzer Bühne gerade frisch geschliffen, lackiert und dementsprechend glatt. Bley kam in seiner Rolle ums Leben und Hans Peter Struppe sollte den im Spiel Verstorbenen ziehend von der Bühne schleifen. In Proben und Aufführungen lief alles wie am Schnürchen – bis die Inszenierung nach Zittau umgesetzt wurde. Dort war die Bühne rau. Struppe zog, Bley blieb hängen, und nur mit viel Kraft und etwas Schwung gelang es seinem Kollegen, ihn trotzdem von der Bühne zu bringen. Die Vorstellung ging weiter und erst bei der Vorhangordnung bemerkte Hans-Peter Struppe, dass Stefan Bley nicht auftrat. Der war längst im Krankenhaus, mit einem riesigen Schiefer im Rücken unweit der Wirbelsäule. Seinen Auftritt zu Ende gespielt hatte er jedoch ohne ein Wort des Schmerzes.
Hochprofessionell auch als Görlitzer Stadtrat
Stefan Bley ist eben ein Mensch mit klaren Vorstellungen über Werte und Gesellschaft, der diese auch zu vermitteln und umzusetzen vermag. Die Menschen vertrauen ihm zu Recht, und es ist für mich nicht verwunderlich, dass er auch seine Funktion als Stadtrat unserer Europastadt so idealtypisch erfüllt. Der hochprofessionelle Anspruch des Bühnendarstellers verbindet sich hier mit dem fürsorglichen und liebevollen Blick des Familienvaters, der Stefan Bley auch ist.
Hier schließt sich ein Kreis. Denn natürlich ist die gesamte Familie Bley dem Theater auf das engste verbunden. Zunächst einmal war ja nicht nur Stefan Bley hier beschäftigt, sondern seine Frau Dorothea leitete über viele Jahre sehr verantwortungsvoll das Künstlerische Betriebsbüro, gewissermaßen den organisatorischen Pulsgeber der Theaterarbeit. Und auch seine Kinder Evita und Benjamin standen schon in jungen Jahren selbst auf der Bühne. Ich erinnere mich zum Beispiel an die Inszenierung Zar und Zimmermann, in der Stefan Bley als van Bett seinen eigenen beiden Kindern auf der Bühne Gesangsunterricht zu geben hatte.
Auch in Zukunft geht die Ära der Familie Bley an unserem Theater nicht zu Ende. Seit letztem Jahr ist Benjamin Bley als Regieassistent und Inspizient an unserem Hause tätig. Er hat von beiden Elternteilen Gutes gelernt: vom Vater den tief sitzenden künstlerischen Instinkt, von der Mutter das Organisationstalent. Es ist schön, diese familiären Entwicklungslinien so klar verfolgen zu können.
Waldmeisterbowle zum Geburtstag für die Kollegen
Von großem Gemeinschaftssinn geprägt ist auch Stefan Bleys Vorstellung von der gelungenen Zusammenarbeit in einem Theaterensemble. Legendär sind diesbezüglich seine Geburtstagsfeiern im eigenen Garten (Stefan Bley hat im Mai Geburtstag, nicht im Dezember, auch wenn man es kaum glauben mag), bei denen der Jubilar seinen Gästen stets eine Waldmeisterbowle aus eigenem Anbau serviert, seine Kolleginnen und Kollegen mit unglaublich leckerem selbstgebackenem Kuchen verwöhnt und sie so auf beste Weise auch privat zusammenführt.
Wenn der letzte Ton des letzten Weihnachtskonzertes eines Jahres am 23. Dezember im Görlitzer Theater verklungen ist, kann es Weihnachten werden. Vorher nicht. Ich habe daher sofort Vertragsverhandlungen über die weitere Mitwirkung von Stefan Bley an der Konzertreihe aufgenommen, als ich von seiner Absicht erfuhr, in Rente zu gehen. Denn Görlitz ohne Weihnachten, wer will das schon riskieren?! Und auch, wenn die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind, wage ich zu behaupten: es wird auf jeden Fall ein Un-Ruhestand, hoffentlich begleitet von langer Gesundheit und großem persönlichem Glück. Lieber Stefan Bley, herzlichen Dank für Ihr unermüdliches und so wertvolles Wirken!