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Todesangst am Grünen Graben

Bei einem Brand retteten sich vor 20 Jahren zwei Männer in Görlitz mit abenteuerlicher Kletterei. Und die Feuerwehr hatte kaum Wasser.

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© Hans Brettschneider

Von Ralph Schermann

Der letzte Sonntag des Jahres 1996 brachte einen Großalarm für die Görlitzer Feuerwehr. Um 9.30 Uhr meldeten besorgte Bürger an jenem 29. Dezember immer stärker am Dach des Hauses Grüner Graben 26 wabernden Rauch. Die Leitstelle ließ den Löschzug der Berufsfeuerwehr ausrücken. Wegen der Brandgefahr in der dichten Innenstadtbebauung wurden die Freischicht der Berufsfeuerwehr sowie beide Kommandostellen der Freiwilligen Feuerwehr (heute aufgeteilt in acht Ortsteilwehren) gleich mit alarmiert – und das war gut so, denn es wurde jede helfende Hand gebraucht.

Gerade hatten die ersten Wehrleute ihre Autos verlassen, zersprangen die Fenster der Mansardenwohnung. In einer Höhe von gut 15 Metern schrien drei Männer und zwei Frauen um Hilfe. Hinter ihnen quollen mächtige Rauchwolken, und später berichtete ein Feuerwehrmann, dass sich in diesem Moment die dunklen Wolken über dem Gebäude zu einer Art Rauchpilz zusammenschlossen. Einer der eingeschlossenen Männer kletterte auf das Fensterbrett und hangelte sich zu einem rund 1,50 Meter entfernten Fenster des Nachbarhauses. Er fand bei der abenteuerlichen Kraxelei Halt, wo eigentlich keiner war, trat das Fenster ein und dirigierte noch einen weiteren Mann auf diesem Weg. Ein Polizist brachte beide schließlich in Sicherheit, Rettungskräfte versorgten die erheblichen Schnittwunden der Kletterer.

Die Feuerwehr hatte derweil Sprungpolster aufgebaut und die Drehleiter ausgefahren. Das war nicht einfach, denn die Oberleitung der Straßenbahn konnte nicht gleich abgeschaltet werden, zudem behinderten geparkte Autos das Manövrieren der Leiter. Mit nur 15 Zentimeter Abstand zum Fahrdraht wurden schließlich die weiteren Mansarden-Bewohner über die Leiter gerettet und mit schweren Rauchgasvergiftungen in das Krankenhaus gebracht.

Nach der Rettung begannen die Löscharbeiten, die vom Wetter erschwert wurden. Das Thermometer zeigte nämlich minus 20 Grad an, die Hydranten waren zugefroren und die Schutzmasken der Männer beschlugen immer wieder. Trotzdem gelang es, die Flammen zunächst nur mit dem Wasser aus vier Tanklöschfahrzeugen schnell unter Kontrolle zu bringen.

Ursache des Brandes war vermutlich ein technischer Defekt in einem Stromverteilerkasten im oberen Hausflur. Von diesem aus war das Feuer auf die Mansardwohnung übergegangen, und den Mietern war deshalb die Flucht durch das Treppenhaus nicht mehr möglich. Ihre Rettung ist der bereits nur zwei Minuten nach Alarmierung eingetroffenen Feuerwehr zu danken – und bei zwei Männern auch ihren tollkühnen Kletterkünsten, die freilich auch tragisch hätten enden können.